Abstract: The verbal periphrases constitute a typological feature of the Romance languages and they are especially frequent in the Iberoromanic languages. In the context of this paper the diachronic evolution of the Italian periphrase andare + participio passato, which has a diathetic, modal and resultative function, and its formal, but not functional equivalent in Spanish, ir + participio pasado, will be analysed. The study will focus on the analysis of semantic and functional values of these verbal constructions in different historical phases of the Italian and (European) Spanish language in order to investigate the convergences and divergences which arise between the two languages. In addition, some equivalent constructions in other Romance langu
Beobachtungen zur diachronischen Entwicklung der Verbalperiphrase GEHEN + PARTIZIP PERFEKT im italienisch-spanischen Sprachvergleich*
Die Verbalperiphrasen gelten als sprachtypologisches Charakteristikum der romanischen Sprachen, wobei sie besonders häufig im iberoromanischen Sprachraum anzutreffen sind (cf. z. B. Ross 2006: 453–454). Allerdings sind die periphrastischen Verbalkonstruktionen1 auch im zeitgenössischen Italienisch gut vertreten, wie z. B. Dardano (1994: 416–417) feststellt und auch D’Amato (2017: 21) bestätigt. Eine klare und eindeutige Profilierung der romanischen Verbalperiphrasen erweist sich als äußerst schwierig, zumal die romanischen Sprachen die Verbalperiphrasen (VP) zum Ausdruck temporaler, aspektueller, modaler und nicht zuletzt diathetischer Werte verwenden (cf. Endruschat 2008: 102). Diese Polyfunktionalität und die damit einhergehenden Differenzen in den Aussagen verschiedener Linguisten2 in terminologischer und klassifizierender Hinsicht zwischen stellt die romanische Sprachwissenschaft vor eine Herausforderung, welche sich auch in der didaktischen Vermittlung der VP sowie in den Lerngrammatiken niederschlägt, wie Füreder (2017: 216) erläutert. An der pessimistischen Feststellung von Iliescu/Mayrhofer (2003: 93), dass „[d]ie Terminologie […] als ein sehr wichtiges, aber auch als ein fast unlösbares Problem der Sprachwissenschaft anzusehen [sei]“, hat sich zumindest in Bezug auf die periphrastischen Verbalkonstruktionen der romanischen Sprachen nach wie vor nicht viel geändert.3 Trotzdem wurden die VP in vielen Werken ausführlich behandelt, wobei die Arbeiten von Dietrich (1973, 1983), Coseriu (1976) und Squartini (1998) zweifelsohne zu den wichtigsten zählen.
Im Rahmen dieses Beitrags soll festgestellt werden, inwiefern die im zeitgenössischen Italienisch besonders geläufige VP andare + participio passato, die im Abschnitt 3.1 näher präsentiert wird, semantische bzw. funktionale Äquivalente in diachronen Entwicklungsstufen des Spanischen aufweist, da auf synchroner Ebene signifikante Divergenzen zwischen den beiden Sprachen bestehen. Denn obwohl das Verb GEHEN in zahlreichen Sprachen unterschiedlichster Sprachfamilien, u. a. natürlich auch in den romanischen Sprachen, als verbaler Modifikator4periphrastischer Verbalkonstruktionen verwendet, so sind VP vom Typ GEHEN + PARTIZIP PERFEKT, verglichen mit anderen VP wie dem periphrastischen Futur, in den romanischen Sprachen vergleichsweise selten zu finden. Auf die genauen Ziele bzw. die Methode, welche dieser Untersuchung zugrunde liegt, wird in den nachstehenden Abschnitten dieses Beitrags näher eingegangen.
Den Ausgangspunkt für das zunehmende Interesse, das die romanische Sprachwissenschaft den VP schenkte, bildeten – abgesehen von den bereits angeführten Arbeiten Dietrichs und Coserius – die Studien von Lehmann (1985) und Squartini (1998) zur Grammatikalisierung5, zumal die VP als Produkt von Grammatikalisierungsprozessen beschrieben werden können (cf. Katelhön 2011: 639). Die nachstehenden Überlegungen zur romanischen VP GEHEN + PARTIZIP PERFEKT, bei denen auch der Grammatikalisierungsfaktor eine entscheidende Rolle spielt, basieren auf der von Katelhön (2018b: 113f.) erarbeiteten Beschreibung der periphrastischen Verbalkonstruktionen:
Komplexe Verbalkonstruktionen6bestehen aus mehreren verbalen Elementen, von denen nur das erste Verb [verbaler Modifikator – P. M.] in finiter Form auftritt und einer geschlossenen Klasse angehört (Bewegungs-, Positions-, Hilfs-, […] Phasen-, Perzeptionsverben, modifizierende und kausative7 Verben). Es ist zum Teil bedeutungsentleert bzw. abgeschwächt8 und ist Träger der morphosyntaktischen Merkmale des gesamten Verbalkomplexes. Das zweite verbale Element [Modifikans – P. M.] ist infinit9 (Partizip, Gerundium oder Infinitiv). Beide Elemente können mit einer Konjunktion, Präposition oder Partikel (a, con/col, da, di für das Italienische […]) verbunden werden. Je enger die Verbindung ist, desto mehr Stellungsbeschränkungen (Position von Pronomina, modifizierende Adverbien, Stellung des finiten Verbs) und desto weniger lexikalische Beschränkungen treten auf. In der Verbindung entsteht eine neue, grammatikalische Bedeutung, die Aspekt, Tempus, Aktionsart, Diathese, Modalität oder ein Kausativum ausdrückt und die nicht aus der Bedeutung der einzelnen Elemente der […] [VP] ableitbar ist.
Katelhön (2018b: 113f.)
In jüngeren Arbeiten (cf. beispielsweise Endruschat 2008 oder Katelhön 2018a, 2018b) werden die VP aus Sicht der Konstruktionsgrammatik analysiert (im Falle von Endruschat (2008) werden zusätzlich einige Themenfelder der kognitiven Linguistik berücksichtigt), in der sprachliche Ausdrücke als form-meaning-unitserachtet sowie Grammatik und Lexikon, im Gegensatz zu strukturalistischen bzw. generativen Ansätzen, als Kontinuum aufgefasst werden (Endruschat 2008: 111–112; Katelhön 2018b: 112–113). Wie Konecny (2018: 117) festhält, „[finden] [i]n neueren Ansätzen der […] [Konstruktionsgrammatik] […] vermehrt auch soziale, kulturelle, pragmatische und funktionale Aspekte Berücksichtigung.“ Diese Charakteristika der Konstruktionsgrammatik (CxG) erklären bereits, warum sie sich auch für die vorliegende Untersuchung anbietet: VP lassen sich zum einen „weder den lexikalischen noch den syntaktischen Einheiten eindeutig zuordnen“ (Katelhön 2018b: 113), zum anderen stehen Form und Inhalt in direkter Verbindung, wobei letzterer nur auf Ebene der parole – um bei der Saussureʼschen Terminologie zu bleiben – sichtbar wird. Auch Coserius Definition der VP rechtfertigt eine Vorgehensweise auf Basis der CxG und signalisiert implizit die Unbrauchbarkeit des strukturalistischen Verfahrens der Segmentation bei der Untersuchung komplexer Verbalkonstruktionen:
Eine „Periphrase“ ist nämlich im eigentlichen Sinn ein sprachliches materiell mehrgliedriges Zeichen, das eine einheitliche, eingliedrige Bedeutung hat, d. h. ein gegliedertes signifiant, dem aber ein einfaches signifié entspricht.
(Coseriu 1976: 119)
Die italienische Verbalkonstruktion andare + participio passato zeichnet sich durch ihr vielseitiges Funktionspotential aus. In der kontrastiven Grammatik von Gallmann/Siller-Runggaldier/Sitta (2008: 117) wird die VP als „passivische Periphrase“ bezeichnet, die semantisch eine „Notwendigkeit“ ausdrückt und morphosyntaktischen Restriktionen unterliegt, da sie nur in den einfachen Tempora gebildet werden kann und da der Agens meist „non è presente […], il che comporta il fatto che il soggetto – almeno nella maggior parte dei casi – compaia alla terza persona“ (Dessì Schmid 2012: 165). Aufgrund des semantischen Merkmals der [Notwendigkeit] wird andare + participio passato in anderen Grammatiken und Arbeiten, beispielsweise Dardano/Trifone (1989) oder Costa (2013)10, als modale Verbalkonstruktion klassifiziert, die eine deontische Modalität bzw. „agensorientierte Modalität“11 nach Bybee/Pagliuca/Perkins (1994) ausdrückt:12
(1) IT. Le tasse vanno pagate entro il 3 giugno. (Gallmann/Siller-Runggaldier/Sitta 2008: 117)
DT. Die Steuern müssen bis zum 3. Juni bezahlt werden.
(2) IT. Il problema va risolto alla radice. (Il problema va risolto alla radice 2020) (Quelle 1) DT. Das Problem muss bei der Wurzel gepackt werden.
Damit ist allerdings noch nicht das gesamte Funktionsspektrum der VP abgedeckt, da sich im Italienischen durchaus auch Beispiele wie (3) oder (4) finden:
(3) IT. Durante la seconda guerra mondiale andarono perdute molte opere d’arte. (Gallmann/Siller-Runggaldier/Sitta 2008: 118)
DT. Während des zweiten Weltkriegs gingen viele Kunstwerke verloren.
(4) IT. Tutti i suoi soldi andarono spesi in profumi e gingilli. (Mocciaro 2014: 46) DT. Sein ganzes Geld wurde für Parfums und Plunder ausgegeben.
Wie u. a. Giacalone Ramat (2000: 133) festhält, ist eine deontische Lesart bei einem perfektiven, den Vergangenheitszeiten angehörenden Modifikator ausgeschlossen, da für einen bereits vergangenen Zeitraum unmöglich „prescriptive obligations“ (ibid.) gegeben werden können.13
Gallmann/Siller-Runggaldier/Sitta (2008: 118) schreiben, dass die VP sich in diesen Fällen vom Vorgangspassiv14 in „eine Art Resultatspassiv“ verwandle und deshalb Ähnlichkeiten mit Prädikativkonstruktionen aufweise. Mocciaro (2014: 46) und Kontzi (1958) zufolge geht die Verbalkonstruktion ursprünglich auch auf eine Prädikativkonstruktion zurück, in der sich die Bindung zwischen dem Bewegungsverb und dem adjektivisch gebrauchten Partizip Perfekt zunehmend verfestigte. Mocciaro (2014: 46), aber auch Gallmann/Siller-Runggaldier/Sitta (2008: 118) bemerken ferner, dass der resultative Gebrauch der VP „[is] associated with a negative evaluation of the event“ (Mocciaro 2014: 46; cf. auch Belege (3) und (4)).
Die deontische und die resultative VP weisen auch morphosyntaktische Divergenzen auf. Im Gegensatz zur deontischen VP, an die eine Präpositionalphrase mit der syntaktischen Funktion eines Agensadverbiales bzw. eines avverbiale di causa efficiente bei unbelebten, nicht agensfähigen Größen angeschlossen werden kann, ist diese Möglichkeit bei der resultativen Verbalkonstruktion ausgeschlossen (cf. Cabredo-Hofherr 2017: 241).15 Die Resultatsperiphrase ist hingegen auch mit zusammengesetzten Tempora kompatibel und deshalb in morphologischer und syntaktischer Hinsicht flexibler.
Interessant ist die Feststellung Mocciaros (ibid.: 60) von Anzeichen für einen „stop in the process of grammaticalization“ der Resultativkonstruktion im zeitgenössischen Italienisch, während die deontische Periphrase „exhibits a high degree of generalization“ (ibid.: 63) und deshalb sehr produktiv ist.16 Silletti (2018: 96) betont in ihrem Beitrag den besonderen Status der VP im Italienischen: „Parmi les langues romanes contemporaines, l’italien est la seule où andare peut être suivi du participe passé de tous les verbes et se charger d’effets de sens passif et d’obligation.“
In ausgewählten spanischen Grammatiken und Arbeiten17 zu Verbalkonstruktionen wird die VP ir + participio pasado „as a passive periphrasis expressing the result of an action that began at a prior time” (Garachana 2018: 133; cf. Reumuth/Winkelmann 2011: 320) beschrieben. In keiner mir bekannten Grammatik bzw. Abhandlung wird diese VP als modale Verbalkonstruktion behandelt, die über ein vergleichbares deontisches Potential wie it. andare + participio passato verfügt. Berücksichtigt man allerdings die oben angegebene Feststellung Sillettis (2018: 96) oder Sánchez Monteros (1993: 76) Argumentation, dass das italienische Pendant „no corresponde, en general, a la función y [al] significado [de la PV española – P. M.]”, ist dies nicht weiter verwunderlich. Einzig beim Ausdruck durativer Werte, wie im fünften und sechsten Beleg, sieht Sánchez Montero (ibid.: 75) Überschneidungen zwischen der italienischen und spanischen VP:
(5) ESP. Va muy preocupado por lo que le hemos dicho. (Sánchez Montero 1993: 75) DT. Er ist sehr besorgt wegen dem, was wir ihm gesagt haben.
(6) IT.18 Va/è molto preoccupato per quello che l’abbiamo detto. (ibid.) DT. Er ist sehr besorgt wegen dem, was wir ihm gesagt haben.
Die syntaktische Position des Adverbs muy im spanischen Beispiel zwischen verbalem Modifikator und modifikantem Element verdeutlicht den schwachen Grammatikalisierungsgrad dieser VP, da bei verfestigten Verbalkonstruktionen im zeitgenössischen Spanisch adverbiale Bestimmungen dem Verbalkomplex entweder voranoder nachgestellt werden (cf. Belege (7)– (9)). Eine Interpretation des fünften Beispiels als Prädikativkonstruktion wäre somit durchaus legitim; dies würde auch die Stellung des Gradadverbs muy erklären:
(7) ESP. * ¿Estás hoy trabjando?
(8) ESP. ¿Hoy estás trabajando? DT. Heute bist du am Arbeiten?
(9) ESP. ¿Estás trabajando hoy? DT. Bist du heute am Arbeiten?
Eindeutiger erscheint der periphrastische Status dieser Verbalkonstruktion, die diathetischer Natur ist, im zehnten Beleg, wie die syntaktischen Funktionen bzw. die semantischen Rollen der Satzglieder zeigen:
(10) ESP. Ya van corregidos trece exámenes. (Garachana 2018: 133) DT. Bis jetzt sind schon 13 Prüfungen korrigiert worden.
In historischen Grammatiken bzw. Handbüchern zur diachronischen Entwicklung des Spanischen spielt die VP ir + participio pasado ebenfalls nur eine marginale Rolle; Cano Aguilar (2015: 184) beschränkt sich z. B. auf die Beschreibung der VP als „perífrasis […] [que] adquiere un especial matiz ‘dinámicoʼ“. In Menéndez Pidals Manual de gramática histórica española (1992) wird die VP nicht erwähnt, wobei Menéndez Pidal sich in seiner Grammatik grundsätzlich auf die Präsentation der Entwicklung synthetischer Verbformen beschränkt.
Neben dem Italienischen und dem Spanischen verfügen auch das Katalanische und das Portugiesische über die genannte Verbalkonstruktion, allerdings ebenfalls „with a lower degree of generality and frequency“ (Squartini 1998: 25–26) als die italienische VP. Während die VP im Portugiesischen ebenfalls eine diathetische Funktion hat, so beschreibt die katalanische Verbalkonstruktion „einen Zustand unter einem dynamischen Gesichtspunkt“ (Brumme 2007: 282). Eine diathetische Funktion kann für die katalanische VP nicht mehr festgemacht werden, wie u. a. das nachstehende Beispiel belegt:
(11) KAT. Aquesta senyora va molt pintada. (Brumme 2007: 282) DT. Diese Frau ist stark geschminkt.
Der periphrastische Status dieser VP ist allerdings umstritten, denn beispielsweise González Gutiérrez (2008: 154) zufolge handelt es sich bei anar + participi passat um eine Prädikativkonstruktion, da anar problemlos durch estar ersetzt werden könnte; die einzige Auswirkung wäre eine veränderte semantische Nuancierung. Generell scheint die Produktivität der VP im Katalanischen, wohl aufgrund der vielen Restriktionen des modifikanten Verbalelements, das semantisch auf lokative Verben wie seguir oder acompanyar beschränkt ist (cf. Cabredo-Hofherr 2017: 240), noch niedriger zu sein als im Spanischen und im Portugiesischen.
In anderen romanischen Sprachen wie dem Französischen oder dem Rumänischen hat sich keine Verbalkonstruktion vom Typ GEHEN + PARTIZIP PERFEKT ausgebildet.19 Dies scheint nicht weiter verwunderlich, gilt doch das Französische, dem generell nur „a quite limited set of […] TAM20 verbs“ (Lamiroy/Pineda 2017: 313) zugeschrieben wird, als die am stärksten grammatikalisierte der romanischen Sprachen.21 Das Katalanische verfügt laut Lamiroy/Pineda (2017: 315) zwar über ein breiter gefächertes Inventar an verbalen Modifikatoren als das Französische, es ist jedoch weniger stark ausgeprägt als im Italienischen oder im Spanischen. Auf Basis mehrerer Untersuchungen (cf. De Mulder/Lamiroy 2012: 200; Lamiroy 1999; Lamiroy/Pineda 2017; Fußnote 20) präsentieren sie folgendes „Grammatikalisierungsranking“ der romanischen Sprachen, dem zufolge das Französische die am stärksten grammatikalisierte und das Spanische die am wenigsten grammatikalisierte Sprache bildet:22
(12) Französisch > Katalanisch > Italienisch > Spanisch
Die hier untersuchte Verbalkonstruktion scheint sich somit ebenfalls, zumindest auf synchronischer Ebene und unter Exklusion des Französischen, in die Grammatikalisierungsskala von Lamiroy/Pineda (2017: 309) einzufügen. Im Folgenden soll aber nun das Hauptaugenmerk auf der diachronischen Entwicklung der VP liegen, wobei nur das Italienische und das Spanische berücksichtigt werden.
Die vorliegende Untersuchung stützt sich auf Beispiele, die allesamt den diachronischen Korpora Tesoro della Lingua Italiana delle Origini (TLIO) bzw. Crestomazia Italiana dei primi secoli (MON) für das Italienische und dem umfangreichen Corpus Diacrónico del Español (CORDE) der RAE für das Spanische entnommen wurden. Im spanischen Korpus wurde eine geographische Eingrenzung auf das peninsulare Spanisch vorgenommen. Bei der Tokensuche in den Korpora wird vorwiegend nach Verbalkonstruktionen gesucht, deren verbaler Modifikator it./sp. va bzw. vanno.van ist, da nur diese VP eine deontische Lesart zulassen, wie in Abschnitt 3.1 dargelegt wurde. Morphologisch beschränkt sich die Analyse somit auf Verbformen der dritten Person Singular und Plural von GEHEN im Präsens, im analytischen Perfekt (für die Resultativkonstruktion), im Imperfekt, im it. passato remoto23 sowie im synthetischen Futur, wobei nur der Indikativ berücksichtigt wird.24
Wie allgemein bekannt ist, gehen die romanischen Bewegungsverben auf verschiedene lateinische Etyma zurück und verfügen, nicht zuletzt aufgrund der häufigen Ausbildung suppletiver Verbalparadigmata, über komplexe semantische Strukturierungen (cf. dazu Pomino/Remberger 2019; Mayr im Druck). Die dritte Person Singular im Indikativ Präsens25 des verbalen Modifikators der genannten VP geht in beiden Sprachen auf das telische, d. h. zielorientierte, Bewegungsverb VADERE des klassischen Lateins zurück. Der deontische Wert der italienischen Verbalkonstruktion wird u. a. in Mayr (im Druck) auf das Sem [+ Telizität] des lateinischen Verbs VADERE zurückgeführt. Der semantische Gehalt des Bewegungsverbs AMBULARE wird von Endruschat (2010: 44) mit den semantischen Merkmalen „[atelische Bewegung], [Bewegung ohne Fortsetzung] sowie [Bewegung ohne räumliche oder zeitliche Begrenzung]“ beschrieben. Die semantische Intension dieser beiden Verballexeme ist, verglichen mit dem neutralen Bewegungsverb IRE, weitaus ausgeprägter, was neben phonetischen (die lautliche Schwäche) und morphologischen (u. a. das von Allomorphie gezeichnete Flexionsparadigma) Merkmalen den teilweisen26 bzw. totalen Schwund des Verbs IRE in den romanischen Sprachen bewirkt haben wird.
Den Ausgangspunkt für diese kontrastive Analyse bildet die italienische VP andare + participio passato, deren Entwicklungspfad in groben Zügen dargelegt werden soll. Anhand der Korpusanalyse soll die diachronische Entwicklung der spanischen Verbalkonstruktion ir + participio pasado skizziert werden, wobei insbesondere die semantischen Werte der jeweiligen Belege von Bedeutung sind. Denn „only by […] analysing the semantic structure of verbs […]” (Mayrhofer 1999: 116) können Rückschlüsse auf deren morphologisches und syntaktisches Verhalten gezogen werden. Die Erkenntnisse zur italienischen VP sollen mit jenen zur spanischen VP verglichen werden, um abschließend hypothetische Überlegungen für mögliche Konund Divergenzen zu präsentieren.
Wie bereits erwähnt wurde, bildet auch die italienische VP andare + participio passato das Ergebnis von Grammatikalisierungsprozessen einer Prädikativkonstruktion, wie dies bei mehreren analytischen Verbformen der romanischen Sprachen der Fall ist.27 Mocciaro (2014: 57) zufolge trat die VP, die eine „Italo-Romance innovation[…] without Latin forerunners“ (ibid.) bildet, erstmals im 14. Jahrhundert in der Toskana auf; sie ist allerdings im 14. und 15. Jahrhundert nur sporadisch belegt. Die ersten Vorkommen der VP haben laut Mocciaro (ibid.) „an unambiguous passive value“ und zeigen keine Spuren des in Abschnitt 3.1 beschriebenen negativen semantischen Werts:
(13) IT. Et se ‘l detto notaio in alcuno de’ detti office fusse o vero per alcuno de’ predetti andasse electo o vero nominato [….] (Mocciaro 2014: 57)
DT. Und wenn der Notar sagt, dass eine der genannten Kanzleien besetzt oder jemand gewählt oder nominiert werden sollte […]
(14) IT. Onde il castello s’arrendè a patti, salve le persone: i quali non furono loro attesi, perché i Pistolesi andarono presi. (Mocciaro 2014: 58)
DT. Daher ergab sich die Burg den Pakten (denen zufolge die Personen unverletzt bleiben sollten), die nicht eingehalten wurden, da die Bewohner Pistoias gefangen wurden.
Die Verbalkonstruktion wies ursprünglich keine temporal-aspektuellen Restriktionen bezüglich des Modifikators auf, der folglich sowohl den perfektiven als auch den imperfektiven Tempora angehören konnte, wie das nachstehende Beispiel belegt.28 Die VP erlaubt im Altitalienischen „rarely […] the expression of the agent” (Mocciaro 2014: 60). Diese Feststellung wurde auch bei einer umfassenden Suche in den beiden Korpora bestätigt, da kein Token für eine auf die VP folgende und durch die Präposition da eingeleitete Präpositionalphrase gefunden wurde.
(15) IT. Daniel profeta ven e dis a llore: questa sentenza non è justa, seniore. cum ay l’iva acusata falsamente, e lepidati lor fo duramente. (Quelle 2)
DT. […]: dieses Urteil ist nicht gerecht, Herr. Als ich falsch angeklagt wurde […]
Das der VP nachgestellte Modaladverb falsamente in Beleg (15) hebt deren periphrastischen Charakter hervor und signalisiert, dass der Übergang von der Prädikativkonstruktion zur periphrastischen Verbalkonstruktion im Italienischen recht früh stattgefunden haben muss.
Die modale Bedeutung ist Mocciaro (2014: 63) zufolge erst seit dem 16. Jahrhundert belegt. Aufgrund der Tatsache, dass die deontische Lesart der VP, die der agensorientierten Modalität Bybees/Pagliucas/Perkinsʼ (1994) entspricht, muss das Modifikans ein „agentive predicate“ (Mocciaro 2014: 63) sein. Die temporal-aspektuellen Restriktionen, denen der verbale Modifikator in diesem Fall unterliegt, wurden bereits in Abschnitt 3.1 erwähnt.
Die nachstehenden zwei Beispiele, die aus dem 16. bzw. 17. Jahrhundert stammen, belegen, dass die Ausbildung des deontischen Potentials der Verbalkonstruktion erst ab dem 16. Jahrhundert begann. Die syntaktischen Positionen der Negationspartikel non sowie des Modalverbs figuralmente, das die Verbalkonstruktion modifiziert, im siebzehnten Beleg legen einen bereits fortgeschrittenen Grammatikalisierungsgrad der VP nahe:29
(16) IT. in una sua lettera, che va stampata nel secondo volume dell’altre sue […]? (Quelle 3) DT. In einem seiner Briefe, der im zweiten Band seiner anderen […] gedruckt wird […]?
(17) IT. I miei scritti non vanno interpretati figuralmente, ma letteralmente (Quelle 4) DT. Meine Schriften sollen nicht figurativ, sondern wörtlich interpretiert werden.
Giacalone Ramat/Sansò (2016) beschreiben zwei alternative Grammatikalisierungsprozesse der VP, welche allerdings teilweise nur bedingt nachvollziehbar sind (cf. Gaeta 2018: 19). Die deontische VP hat sich ihnen zufolge durch eine Abschwächung des telischen Werts von VADERE entwickelt, der zuerst zu einer habituellen und anschließend zu einer deontischen Lesart der VP geführt hätte (cf. ibid.):
telisch: in einem gewissen Zustand sich befinden > in einem gewissen Zustand sich habituell befinden > in einen gewissen Zustand zu versetzen
(Gaeta 2018: 19)
In Mayr (im Druck) wird jedoch ausführlich dargelegt, dass das Merkmal der Telizität auch bei der modalen VP ein entscheidendes Merkmal darstellt.
Für Giacalone Ramat/Sansò (2016) spielt die [+ Telizität] hingegen bei der resultativen Verbalkonstruktion eine wichtige Rolle, da „das betroffene Wesen ungewollt beziehungsweise unverantwortlich an dem Ereignis beteiligt ist und schließlich infolge des Ereignisses vollständig verbraucht wird“ (Gaeta 2018: 20):
+ telisch: in einen negativen Zustand geraten > in einen schädlichen Zustand versetzt werden > vollständig verbraucht werden
(ibid.)
Der Grad an Periphrastizität30 der Resultativperiphrase ist Gaeta (ibid.: 20–21) zufolge allerdings auch im Italienischen nicht so ausgeprägt wie jener der modalen VP; er bezeichnet die Verbalkonstruktion als „Halbkopula“. Die in Abschnitt 3.1 erwähnte Unterbrechung des Grammatikalisierungsprozesses (Mocciaro 2014) dieser VP zeugt ebenfalls von einem vergleichsweise schwachen Grammatikalisierungsgrad. Wie bereits beim elften Beispiel zum Katalanischen festgestellt wurde, so hätte auch beim nachstehenden Beispiel (18) zum Italienischen der Ersatz des Verbs andare durch essere (cf. Beispiel (19)) nur eine veränderte semantische Nuancierung zur Folge; die negative Evaluation des Ereignisses käme beispielsweise abhanden:
(18) La pancetta è andata persa. (Gaeta 2018: 21) DT. Der Speck ist verloren gegangen.
(19) La pancetta è stata persa.
DT. Der Speck wurde verloren.
Auch im Spanischen scheint sich die VP durch die zunehmende Grammatikalisierung der Prädikativkonstruktion entwickelt zu haben. Der zwanzigste Beleg aus dem Jahre 1554 enthält zwei nominale Prädikate, nämlich einerseits va mustio, in dem das Bewegungsverb va zweifelsohne als Kopulaverb fungiert, andererseits andava bien suelta, bei dem es sich ebenfalls eindeutig um eine Prädikativkonstruktion handelt, zumal suelto ein Qualitätsadjektiv und kein adjektivisch gebrauchtes Partizip Perfekt darstellt:
(20) ESP. Polytes: !Por Dios, que barrieron presto las señoras! Y Floriano no sé qué ha negociado que va mustio, y aun él que tuvo harto tiempo si fue para ello. Aunque quiçá que hizo algo. No le quiero condenar para poco, pues yo fuy para harto menos. Aunque a la verdad, la reverencia del sancto lugar me ató las manos donde andava bien suelta la voluntad. (Quelle 5)
DT. [...] Und Floriano, ich weiß nicht, was er verhandelt hat, dass er so niedergeschlagen ist, und gerade er, der immer viel Zeit hatte, wenn es dafür war. […] Obwohl in Wahrheit band mir die Hochachtung vor dem heiligen Ort die Hände dahin, wo der Wille frei herumläuft.
Im 21. Beleg kann die Konstruktion va hecho hingegen eindeutig als Passivkonstruktion aufgefasst werden, wie u. a. die Verteilung der semantischen Rollen verrät. Der AGENS, welcher in der Aktivdiathese ersichtlich wäre, wird ausgeblendet und der nuestramo, der Notar, der die semantische Rolle des PATIENS übernimmt, hätte in der Aktivkonstruktion die syntaktische Funktion des direkten Objekts inne, in der Passivdiathese wird er jedoch zum Subjekt, wie es auch in Beispiel (21) zutrifft. Die passivische VP verfügt aufgrund des Interrogativadverbs cómo und der interrogativen Satzmodalität über keine deontische Lesart. Auch in Beleg (22) handelt es sich zweifelsohne um eine Passivperiphrase:
(21) ESP. Fulminato: ¿Cómo va hecho mudo nuestramo, di, hermano Polytes? (Quelle 6) DT. Fulminato: Wie wird der Notar zum Schweigen gebracht, sag, Bruder Polytes?
(22) ESP. Pues su cura será por la orden como aquí va puesto: lo primero, será el buen herrar, haziendo buen assiento y forma de huello, porque no trabagen y reciban detrimento los miembros que padecen la enfermedad; y lo segundo, será desgovernar de los braços o piernas para cintar y resistir los humores, que no vayan tan de golpe a aquellos lugares a engrossar. (Quelle 7)
DT. Nun, sein Aufenthalt wird wegen der Anordnung sein, wie hier geschrieben steht: [….]
Interessanterweise findet sich bereits ein Beleg aus dem 14. Jahrhundert, welcher zu den frühesten Belegen der VP im spanischen Korpus gehört, in dem die VP va perdido als „Resultatspassiv“ (Gallmann/Siller-Runggaldier/Sitta 2008: 118) fungiert und bei dem auch ein „negativer Beigeschmack“, wie er für die italienischen Pendants beschrieben wurde, erkennbar ist.
Auch die in Beleg (24) enthaltene Verbalkonstruktion kann als Resultatspassiv klassifiziert werden:
(23) ESP. E si algund pecador non puede tornar lo ageno deve yr el sacerdote a aquellos cuyo es el algo, quel algund tienpo dé que lo pueda tornar; e si non quisiere, faga çessión de todos sus bienes, quanto pudiere pague; e tal omne commo éste non va perdido. (Quelle 8)
DT. [...] und wenn er nicht wollte, trete er von seinen Gütern ab, er bezahle so viel er kann, und ein solcher Mann geht nicht verloren.
(24) ESP. Todo va perdido si Dios no nos remedia, y vuelve las piedras oro, ya que nos ha dado pan como tierra, y vino en Madrid como agua. (Quelle 9)
DT. Alles geht verloren, wenn Gott uns nicht hilft, […]
Im nachstehenden Beispiel (25) verfügt die VP va escrito, die durch eine lokale Adverbialbestimmung näher definiert wird, auch über eine deontische Lesart. Diese ist u. a. durch den Kobzw. Kontext, in dem der Verbalkomplex auftritt, erschließbar, da es sich um ein institutionelles Dokument handelt, das Teil des Gesamtwerks Relaciones histórico-geográficas-estadísticas de los pueblos de España ist. Selbiges gilt für die VP in Beleg (26). Sie drückt eine agensorientierte Modalität aus, da die Notwendigkeit betont wird, sich für die im Plan genannten Inhalte zu entscheiden und ist somit ebenfalls in einen direktiven Sprechakt integriert: 31
(25) ESP. Yo Jeronimo Ramirez, escribano de Su Magestad real, publico y del numero de esta villa de Illescas, presente fui con los susodichos que aqui firman sus nombres a lo que dicho es, y va escrito en tres hojas de medio pliego con esta en que va este mi signo, y en cada una al fin de ella una de mis rubricas. (Quelle 10)
DT. [...], und es wird (muss) auf drei Blättern von halber Größe geschrieben (werden) […]
(26) ESP. Publicada que sea esta nuestra Carta en el Claustro, procedereis inmediatamente Vos el Rector, con acuerdo de la Junta de Méthodo, á providenciar lo conveniente para su puntual observancia, y plena execucion de todo lo contenido en el Plan, y lo que ahora va resuelto. (Quelle 11)
DT. [...] [ihr werdet voranschreiten mit] der vollen Ausführungen von allem, was der Plan beinhaltet, und mit allem, das jetzt gelöst werden muss.
Die deontische Bedeutung der Verbalkonstruktion scheint sich im Spanischen erst ab dem 16. Jahrhundert entwickelt und im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts, somit bereits im Neuspanischen (cf. Eberenz 1991: 105–106), intensiviert zu haben, obgleich in weitaus geringerem Maße als im Italienischen.32 Auch im nachstehenden Beleg (27), der aus dem Jahre 1542 stammt, ist eine deontische Interpretation der VP va puesto möglich, wobei auch eine rein diathetische Auffassung der Verbalkonstruktion zulässig ist:
(27) ESP. En cada seys coplas va puesto el nombre de los dos theologos que las firmaron quando se hizieron: porque en aquella justa ningun justador se admite sino trae dos padrinos que aprueuen lo que dize. (Quelle 12)
DT. In alle sechs Strophen wird (muss) der Name der zwei Theologen angebracht (werden), die sie unterschrieben, als sie sie (die Strophen) verfassten: […]
Noch früher belegt (bereits im Jahre 1293) ist hingegen die Funktion des „hacer hincapié en el proceso previo de la acción y en su desarollo actual” (Sánchez Montero 1993: 76) der VP ir + participio pasado. Auch Cabredo-Hofherr (2017: 240) zufolge „conveys [the VP] a meaning comparable to the passive combined with the adverb ya ‘already’”. In Beispiel (29), aber auch in Beispiel (30), in dem die VP aus syntaktischer Sicht das verbale Prädikat eines Gliedsatzes bildet, könnten die VP durch Deiktika, z. B. eine temporale Verbalkonstruktion in Kombination mit einer temporalen Adverbialbestimmung, paraphrasiert werden (cf. ibid.: 77).33 Alle drei Belege können eindeutig als Passivdiathesen aufgefasst werden:
(28) ESP. El fierro en tanto que es caliente deuese majar, e desque es frio non se puede tan bien majar. El que va a guerrear con sus enemigos syn sabidoria, çiertamente la su vida es en poder de sus enemigos; e otrosy en su mesura va vendido desque començares a guerrear [...] (Quelle 13)
DT. Wer mit seinen Feinden ohne Weisheit jagen geht, dessen Leben ist sicherlich in der Hand seiner Feinde; und andere Zurückhaltende werden schon bei Beginn der Jagd verkauft.
(29) ESP. me escribió Pierre Quint y entre otras cosas me decía que a fin del año pasado me haría liquidación de lo que va vendido de mis obras. (Quelle 14)
DT. Mir schrieb Pierre Quint und unter anderem sagte er mir, dass er mir am Ende des vergangenen Jahres eine Abrechnung jenes Anteils meiner Werke, die bereits verkauft wurden, machen würde.
(30) ESP. Lo segundo, el estilo; porque yo ha mil eternidades que perdí la memoria de las cartas misivas y no sé si va arreglado o no. (Quelle 15)
DT. Das Zweite, der Stil; da ich, vor Ewigkeiten, die Erinnerung an die Sendschreiben verlor und ich weiß nicht, ob das schon aufgeräumt ist oder noch nicht.
Im CORDE finden sich für die VP mit dem Bewegungsverb seguir als Modifikans, die im Katalanischen zu den frequentesten dieses Periphrasentyps gehört (cf. Beleg (32)), erst im 20. Jahrhundert Belege (abgesehen von einer Ausnahme, deren periphrastischer Status allerdings fraglich ist). Auffallend ist die Tatsache, dass beim Verb seguir in fast allen Belegen des Korpus eine Präpositionalphrase auf die jeweilige Verbalkonstruktion folgt, deren Präsenz natürlich aus semantisch-pragmatischen Gründen unerlässlich ist; es handelt sich aus syntaktischer Perspektive somit um eine Umstandsergänzung bzw. ein complemento cirunstancial argumental (Iliescu/Mayrhofer 2003: 110):34
(31) ESP. Cada escalofrío va seguido de hipertermia e indica siempre un nuevo brote de invasión septicémica. (Quelle 16)
DT. Jeder Kälteschauer wird von Hyperthermie gefolgt und zeigt immer einen neuen Anfang von Blutvergiftung an.
(32) KAT. L’ària del tenor va anar seguida d’aplaudiments. (Bartra Kaufmann 2002: 2124; zit. nach Cabredo-Hofherr 2017: 240)
DT. * Die Arie des Tenors geht/wird/ist gefolgt von Applaus./Auf die Arie des Tenors folgt Applaus.
Die Korpusanalyse hat ergeben, dass in den Belegen aus diachronischen Entwicklungsstufen des Spanischen kaum Präpositionalphrasen auf die VP ir + participio pasado folgen, wie es auch für das Italienische festgestellt wurde. Die vorliegende Untersuchung hat ferner gezeigt, dass das Spanische ausschließlich transitive Verben als modifikante Verbalelemente zulässt, während im Italienischen auch inergative Verben,35 die, in starker Abhängigkeit von ihrem Grad an semantischer Transitivität,36 auch die Möglichkeit der Passivierung aufweisen (cf. Siller-Runggaldier 1999: 294):37
(33) IT. La fig. 10 presenta un’altra specie di filetto obbliquo, ossia il così detto filetto a rosa; il quale forma un magnifico ripieno e va lavorato sovra due bacchette di differente grossezza. (Quelle 17)
DT. Die zehnte Abbildung zeigt eine andere Art eines queren Filets, des sogenannten filetto a rosa; welches eine köstliche Füllung bildet und es muss auf zwei Ruten unterschiedlicher Größen bearbeitet werden.
Dass die VP ir + participio pasado in ihrer historischen Entwicklung Parallelen mit der italienischen Verbalkonstruktion andare + participio passato aufweist, mag bei der engen Verwandtschaft der beiden Sprachen wenig überraschend erscheinen. Wie einige andere analytische Verbalkonstruktionen bzw. wieder synthetisierte Verbformen, z. B. das synthetische Futur der romanischen Sprachen, so scheint auch die hier beschriebene VP sowohl im Italienischen und Spanischen als auch im Katalanischen und Portugiesischen das Resultat von Grammatikalisierungsprozessen von Prädikativkonstruktionen zu sein. Die semantisch-funktionalen Übereinstimmungen zwischen den Verbalkonstruktionen des Alt-, Mittelund Neuspanischen38 sowie jenen der früheren Entwicklungsphasen des Italienischen zeigen, dass Sánchez Monteros (1993: 76) Feststellung bezüglich einer „no correspondencia“ zwischen it. andare + participio und sp. ir + participio pasado aus diachronischer Perspektive nur teilweise zugestimmt werden kann. Der Gebrauch der VP scheint im Spanischen schon immer marginaler gewesen zu sein als im Italienischen, wie z. B. die Nichtkompatibilität des Modifikans mit intransitiven Verben, aber auch die wenigen Verweise auf die Verbalkonstruktion in (historischen) Grammatiken beweisen. Im Italienischen muss die Entwicklung der VP, d. h. die zunehmende Verfestigung der Bindung zwischen dem Kopulaverb va und dem Adjektiv bzw. adjektivisch gebrauchten Partizip Perfekt, im Zeitraum zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert begonnen haben; im Spanischen finden sich die meisten Belege für Verbalkonstruktionen vom Typ ir + participio pasadobeginnend ab dem 16. Jahrhundert, dem Primer Siglo de Oro, bis zum 18. Jahrhundert, das dem Zeitalter der Aufklärung entspricht. Obwohl im Rahmen dieses Beitrags keine quantitative, sondern eine qualitative Analyse der VP durchgeführt wurde, so konnte trotzdem festgestellt werden, dass GEHEN + PARTIZIP PERFEKT im Spanischen häufig die Funktion einer „einfachen“ diathetischen VP hat, in einzelnen Fällen jedoch auch eine resultative bzw. deontische Lesart zulässt.
Um den genauen Ursprung der resultativen bzw. modalen Werte der VP zu bestimmen, müssten natürlich weitaus mehr Belege analysiert und zeitlich exakt datiert werden. Nichtsdestotrotz kann die Hypothese, dass die Ausbildung des breiteren Funktionsspektrums der spanischen VP ab dem 16. Jahrhundert auf italienische Einflüsse zurückzuführen ist, die in diesem Zeitraum (Humanismus und Renaissance) sehr stark präsent waren, nicht ausgeschlossen werden (cf. Bollée/Neumann-Holzschuh 2017: 83). Es gilt zu berücksichtigen, dass sprachinterne Entwicklungen, etwa Grammatikalisierungsbzw. Lexikalisierungsprozesse, nicht nur paradigmatischen Veränderungen geschuldet sind, sondern dass auch externe Faktoren, beispielsweise soziale und demographische Umstände, einen entscheidenden Beitrag leisten (cf. De Mulder/Lamiroy 2012; Klöden 2005; Simone 1993). Auch periphrastische Verbalkonstruktionen können, nicht zuletzt aufgrund extralinguistischer Gegebenheiten, syntaktische Entlehnungsphänomene darstellen. Konkret auf das Italienische bezogen führt beispielsweise Durante (1982: 220) die Existenz der temporal-aspektuellen VP andare a + infinito auf den intensiven Sprachkontakt mit dem Französischen im 18. Jahrhundert zurück, deren Grammatikalisierungsprozess allerdings aufgrund der dominanten puristischen Ideologie in Italien im 19. Jahrhundert weitgehend gestoppt wurde (cf. dazu auch Silletti 2018).39Gaeta (2018) beschreibt ferner die Entwicklung einer deontischen Passivkonstruktion im Titsch, einer diatopischen Varietät des Deutschen im Aostatal, deren verbaler Modifikator das Verb gehenist. Auch er schreibt die Entwicklung dieser Verbalkonstruktion40 dem intensiven Sprachkontakt mit dem Italienischen zu, da zahlreiche Charakteristika des von ihm als „GEHEN-PASSIV“ bezeichneten deontischen Passivs des Titsch mit jenen der italienischen VP übereinstimmen. Ob die spanische VP tatsächlich – und falls ja, inwiefern – vom italienischen Pendant beeinflusst wurde, muss allerdings im Rahmen eines anderen Beitrags erörtert werden.