Artikel/Articles
DOI: https://doi.org/10.13092/lo.111.8241
Resümee: The aim of this paper is i) to investigate the distribution of different topic types in the highest portion (found above valutative adverbs such as glücklicherweise and leider, Cinque 1999) of the German Mittelfeld, i. e. the clause portion found between the finite and non-finite verb forms (Satzklammer), and ii) to compare it with the distribution of topics within the Italian left periphery, i. e. the area found above the finite verb where operators, focalised and topicalised constructions are hosted (Rizzi 1997; Benincà 1988, 2001). Based on a corpus of written and oral German data collected through the DeReKO and the FOLK Databases, we show that in German i) in both written and oral examples a single topic belonging to all topic classes can appear in the highest portion of the Mittelfeld (as proposed by Frascarelli/Hinterhölzl 2007), ii) and that multiple topics are restricted to written texts and appear with the fixed order “Aboutness Topic > Familiar Topic; Aboutness Topic > Contrast Topic”. We compare the distribution of topics above valutative adverbs in German with the distribution of topics in the Italian left periphery. We show that the two languages share the fact that multiple topics are possible, with the difference that i) three topics can appear in the Italian left periphery in the order Aboutness Topic > Contrast Topic > Familiar Topic whereas only sequences of two topics are attested in German; ii) the sentence-initial position functions as an “extra” position for topics in German but not in Italian due to the V2 nature of the former language; iii) the presence of multiple topics in the left periphery is restricted to oral or informal texts in Italian and it is a typical trait of colloquial/informal language, whereas the availability of multiple topics in the German Mittefeld is restricted to written/formal texts and can thus be seen as a written/formal trait.
1 Einleitung
Im Mittelpunkt des vorliegenden Aufsatzes steht das syntaktische Verhalten von lexikalischen (i. e. nicht pronominalen) Topikkonstituenten im Deutschen und im Italienischen. Insbesondere wird auf die Besetzung von zwei syntaktischen Bereichen, der italienischen linken Satz-peripherie und dem linken Rand des deutschen Mittelfeldes, eingegangen, in denen typischerweise Topiks auftreten können. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob sich der in der Literatur oft angenommene Parallelismus zwischen diesen zwei Positionen anhand von authetischen schriftlichen und mündlichen Daten aufrechterhalten lässt. Die herangezogenen Daten stammen aus Pressetexten des deutschen Referenzkorpus (DeReKo), das durch Cosmas II abgefragt wurde, und aus Gesprächen der Datenbank Gesprochenes Deutsch (DGD, FOLK). Die Ergebnisse dazu werden mit den aus der Literatur entnommenen Eigenschaften der italienischen linken Satzperipherie in Beziehung gesetzt bzw. verglichen.
Der Aufsatz ist wie folgt aufgebaut. Zunächst werden in Abschnitt 2 die Grundbegriffe eingeführt und zwar Topik, linke Satzperipherie und linker Rand des Mittelfeldes. In Abschnitt 3 werden die Forschungsfragen, die Daten und die Methode der Untersuchung zum deutschen linken Rand des Mittelfeldes dargelegt. In Abschnitt 4 werden die Ergebnisse der vorliegenden Studie präsentiert. Im Anschluss daran werden sie in Abschnitt 5 mit den in der Literatur besprochenen Eigenschaften der italienischen linken Satzperipherie in Beziehung gesetzt.
2 Grundlagen
2.1 Definition von Topik
Der Terminus „Topik“ bezieht sich auf den informationsstrukturellen Status einer Konstituente innherhalb eines Textes. In der Literatur wird er unterschiedlich definiert (cf. Moroni 2010: 51– 54). Frascarelli/Hinterhölzl (2007) unterscheiden drei Typen von Topik: Aboutness/ShiftTopik, Kontrast-Topik und Familiaritätstopik, die sie jeweils von Arbeiten anderer Linguisten übernehmen. Der Terminus Aboutness/Shift-Topik bezeichnet nach ihrer Auffassung eine Konstituente, die das Thema der Äußerung einführt: „what the sentence is about […] in particular, a constituent that is newly introduced, newly changed or newly returned to“ (Givón 1983: 8; cf. auch Frascarelli/Hinterhölzl 2007: 88). In Beispiel (1), das aus Frascarelli/Hinterhölzl (2007: 105) stammt, ist Putin ein Aboutness/Shift-Topik:
(1)
A: wird die U-Boot-Katastrophe die russische Gesellschaft verändern – das ist meine Frage heute
– guten Morgen.
B: Guten Morgen – ja, hat [Putin]Aboutness/Shift einen Fehler gemacht?
(Frascarelli/Hinterhölzl 2007: 105)
Der Begriff des Kontrast-Topiks bzw. K-Topiks geht auf Büring (1997) zurück und bezeichnet eine Konstituente, die auf Alternativen verweist (Büring 2006)1. So bezeichnet die Konstituente Erwinin (2) im gegebenen Kontext einen Referenten, der Teil einer Gruppe (der Gruppe der Gäste) ist, i. e., sie verweist auf andere Referenten, zu denen Erwin in Kontrast steht.
(2)
F: Was haben die Gäste mitgebracht?
A: [Erwin]Kontrast hat Kartoffelsalat mitgebracht (, und Michaela…)
(Büring 2006: 157)
Unter Familiaritätstopik versteht man schließlich eine Konstituente, die bereits Erwähntes bzw. Zugängliches wieder aufnimmt und dazu dient, ein Thema weiterzuführen. Typischerweise sind Familiaritätstopiks pronominal (Frascarelli/Hinterhölzl 2007:88; Pesetsky 1987), können aber auch nominal sein und tragen keinen Akzent. Hier ein Beispiel aus der IDS-Grammatik:
(3)
Könnte Lisa wohl morgen seinen Wagen haben?
Ich weiß nicht; er hat gesagt, dass [er das Auto morgen]Fam vielleicht seinem Freund leiht.
(Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997: 1561, Beispiel 5“).
Topikkonstituenten können lexikalische oder pronominale Form aufweisen. Im Folgenden konzentrieren wir uns auf lexikalische Topikkonstituenten und auf deren syntaktisches Verhalten im Deutschen und im Italienischen. In diesen Sprachen stehen Topikkonstituenten typischerweise in der sogenannten linken Satzperipherie, das heißt, vor dem finiten Verb. Sie können aber auch rechts davon auftreten, wobei im Deutschen der linke Bereich des Mittelfeldes eine für topikalisierte Konstituenten spezialisierte Position zu sein scheint (Frey 2000). Im Folgenden erklären wir, was genau unter linker Satzperipherie und – für das Deutsche – dem linken Rand des Mittelfeldes verstanden wird.
2.2 Die linke Satzperipherie
Unter linker Satzperipherie wird die syntaktische Position links vom finiten Verb verstanden (Rizzi 1997; Benincà 2001). Dieser Begriff wurde zur Beschreibung der romanischen Sprachen entwickelt, in denen mehr als eine Konstituente vor dem finiten Verb auftreten kann. Die mehrfache Besetzung des Bereichs vor dem finiten Verb führt dazu, dass dieser nicht als eine einzige syntaktische Position erfasst wird, sondern als eine „Peripherie“. Die Besetzbarkeit der linken Satzperipherie des Italienischen durch mehrere Konstituenten ergibt sich daraus, dass das Italienische, wie alle gegenwärtigen romanischen Sprachen, keine Verb-Zweit-Sprache mehr ist (cf. Benincà 1984; Poletto 2014 für die Idee, dass sich das Altitalienische und die altromanischen Sprachen als Verb-Zweit-Sprachen analysieren lassen).
Die Reihenfolge der Satzglieder in der italienischen linken Satzperipherie ist nicht beliebig, sondern sie wird von der Informationsstruktur gesteuert. So sind fokussierte Konstituenten und W-Wörter dem rechten bzw. unteren Bereich der linken Satzperipherie vorbehalten. Ihnen vorangestellt sind alle anderen Konstituenten, die zum Hintergrund der Information gehören und zwar: Adverbiale und Topikkonstituenten, wobei diese je nach Typ einer bestimmten Serialisierung folgen müssen (cf. Benincà 2001; Benincà/Poletto 2004; Frascarelli/Hinterhölzl 2007). Rechts von den Adverbialen können Topikkonstituenten auftreten, wobei die Abfolge Aboutness-Topik > Konstrast-Topik > Familiaritätstopik angenommen wird (Frascarelli/Hinterhölzl 2007). Die informationsstrukturell gesteuerte Besetzung der italienischen linken Satzperipherie sieht also wie in (4) aus:
(4) Adverbiale > Aboutness/Shift-Topik > Konstrast-Topik > Familiaritätstopik > Foki/ W-Wörter
Beispiele (5) und (6) (beide aus Frascarelli/Hinterhölzl 2007:88, Hervorhebungen durch die Autorinnen), die aus einer Konversation zwischen einer Lehrerin und der Mutter eines Schülers über die Vertretung einer Kollegin stammen, erläutern die unter (4) angegebene Struktur, insbesondere die Reihenfolge der Topikkonstituenten.
(5)
La situazione è questa: l’insegnante come ho detto ai ragazzi è in maternità ha una gravidanza difficile e sta usufruendo di quella legge particolare della maternità anticipata per ora ha avuto un mese io penso che non tornerà però lei m’ha detto ah di non dirlo ancora ai ragazzi perché per motivi suoicomunque io signora penso di chiudere l’anno [...] questo comunque io ai ragazzi non l'ho detto direttamente.2
‚Die Lage ist die folgende: Die Lehrerin ist, wie ich den Schülern bereits gesagt habe, in Mutterschaftsurlaub gegangen und ihre Schwangerschaft läuft nicht gut, sie hat frühzeitige Mutterschaft beantragt. Sie hat jetzt erst einen Monat bekommen, aber ich denke, dass sie vor dem Geburt nicht zurückkommen wird. Sie hat mich darum gebeten, das den Schülern nicht mitzuteilen, weil ... das ist ihre Sache. Allerdings denke ich, dass ich bis zum Ende des Schuljahres bleiben werde [...] Das habe ich den Schülern auf jeden Fall nicht direkt gesagt.‘
(Frascarelli/Hinterhölzl 2007:88)
La situazione è questa: l’insegnante come ho detto ai ragazzi è in maternità ha una gravidanza difficile e sta usufruendo di quella legge particolare della maternità anticipata per ora ha avuto un mese io penso che non tornerà però lei m’ha detto ah di non dirlo ancora ai ragazzi perché per motivi suoicomunque io signora penso di chiudere l’anno [...] questo comunque io ai ragazzi non l'ho detto direttamente.2
‚Die Lage ist die folgende: Die Lehrerin ist, wie ich den Schülern bereits gesagt habe, in Mutterschaftsurlaub gegangen und ihre Schwangerschaft läuft nicht gut, sie hat frühzeitige Mutterschaft beantragt. Sie hat jetzt erst einen Monat bekommen, aber ich denke, dass sie vor dem Geburt nicht zurückkommen wird. Sie hat mich darum gebeten, das den Schülern nicht mitzuteilen, weil ... das ist ihre Sache. Allerdings denke ich, dass ich bis zum Ende des Schuljahres bleiben werde [...] Das habe ich den Schülern auf jeden Fall nicht direkt gesagt.‘
(Frascarelli/Hinterhölzl 2007:88)
Ziehen wir den letzten Satz in Betracht, wo drei topikalisierte Konstituenten (questo, ‚das‘, io, ‚ich‘, ai ragazzi, ‚den Schülern‘) vorkommen, die jeweils zu drei verschiedenen Topiktypen gehören.
Anhand des unter (5) angegebenen Kontextes leiten Frascarelli/Hinterhölzl (2007) ab, dass:
das Demonstrativpronomen questo ein Aboutness/Shift-Topik ist, da es sich um ein neu angeführtes Thema handelt und ein Shift in der Konversation markiert;
io sich als ein Kontrast-Topik einstufen lässt, das einen Kontrast zwischen der Lehrerin und anderen potentiell involvierten Leuten, die den Schülern Bescheid sagen könnten, ausdrückt;
ai ragazzi ein Familiaritätstopik ist, da von den Schülern schon am Anfang der Konversation und mehrmals im Text die Rede gewesen ist.
Im Gegensatz zu den Studien zur Syntax der romanischen Sprachen wird in der germanistischen Sprachwissenschaft kaum von linker Satzperipherie gesprochen. Dies liegt daran, dass im Deutschen und in den germanischen Sprachen im Allgemein aufgrund ihrer Verb-Zweit-Eigenschaft die Besetzung der Position vor dem finiten Verb starken Einschränkungen unterliegt. Wir glauben jedoch, dass der Begriff der linken Satzperipherie auch für die Beschreibung der deutschen Syntax von Nutzen sein kann, insbesondere wenn angenommen wird, dass die linke Satzperipherie dem deutschen Mittelfeld (bzw. einem Teil davon) entspricht. Im Deutschen umfasst die linke Satzperipherie nur zwei Positionen, das Vorfeld und eine weitere Position, die links vom Vorfeld angesiedelt ist und Vor-Vorfeld (Wöllstein 2014) oder linkes Außenfeld (Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997) genannt wird. In Tabelle (1) geben wir das topologische Modell des Deutschen nach Averintseva (2007: 142) wieder, das in Anlehung an Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997) entwickelt wurde:
Die zwei Positionen der linken Satzperipherie des Deutschen haben einen unterschiedlichen syntaktischen und informationsstrukturellen Status. Die Konstituente im Vorfeld bildet typischerweise immer ein Satzglied bzw. stellt eine Konstituente dar, die im Satz syntaktisch integriert ist und von seiner Basisposition im Mittelfeld herausbewegt wurde. Dabei kann es sich um ein Topik, ein Fokus, ein W-Wort und ein Adverbial handeln, wie an den konstruierten Sätzen (7) und (8) deutlich wird.
(7) a. (Wen kann Hans nicht leiden?) [Maria]Fokus kann er nicht leiden.
b. (Was gibt es Neues über Maria?) [Maria]Topik kann Hans nicht leiden.
c. [Wen]W-Wort kann Maria nicht leiden?
(8) [Gestern]Adverbiale hat sich Maria mit Hans gestritten.
Das linke Außenfeld ist demgegenüber einer Konstituente vorbehalten, die syntaktisch vom Satz unabhängig ist und durch die der Sprecher ein Diskurstopik einführen kann, das heißt, das Thema des nachfolgenden Diskursabschnitts. Ein Beispiel dafür ist apropos Hans in Tabelle 1 oben (cf. Averintseva 2007). Sätze, in welchen beide Positionen der deutschen linken Peripherie besetzt sind, gelten als Verletzungen der Verb-Zweit-Regel. Wie es schon in Altmann (1981) gezeigt wurde, ist die mehrfache Besetzung der linken Peripherie extrem häufig im gesprochenen Deutschen, wobei immer eine syntaktisch nicht integrierte Konstituente vor einer integrierten Konstituente auftritt, wie beim Satz in Tabelle 1.
Die deutsche und die italienische linke Satzperipherie weichen stark voneinander ab. Denn im Deutschen kann vor dem finitem Verb typischerweise nur eine Konstituente auftreten, während im Italienischen die mehrfache Besetzung des Bereichs vor dem finiten Verb erlaubt ist. Dennoch lassen sich zwischen der italienischen linken Satzperipherie und dem linken Bereich des Mittefeldes des Deutschen viele Gemeinsamkeiten feststellen. Beide Bereiche sind mit Informationsstruktur assoziiert und sind für die Kodierung von markierten Lesarten von Konstituenten verantwortlich. In der italienischen linken Satzperipherie kommen topikalisierte und fokussierte Konstituenten vor; die gleichen Konstituenten können im deutschen Mittefeld auftreten.
In Bezug auf Topikkonstituenten wird in der Literatur (Frascarelli/Hinterhölzl 2007) die These vertreten, dass in der zugrundliegenden Struktur die italienische linke Satzperipherie dem linken Rand des Mittelfeldes des deutschen Satzes entspricht, insofern als beide die Position in der jeweiligen Sprache bilden, in der Topikkonstituenten stehen. Demgegenüber sei das deutsche Vorfeld eine aus der zugrundeliegenden Struktur durch Bewegung abgeleitete Position und das linke Außenfeld des Deutschen liege außerhalb der Satzstruktur. Was das Italienische betrifft, wissen wir, dass die Besetzung der linken Satzperipherie durch lexikalische Topikkonstituenten typisch für informelle, mündlich konzipierte Sprache bzw. Sprache der Nähe (Koch/Oesterreicher 1985) ist (für das Italienische cf. Sabatini 1985 und Berretta 1988). Demgegenüber liegen zur Relation zwischen der Besetzung des linken Randes des Mittelfeldes durch Topiks und dem Register im Deutschen unseres Wissens keine Studien vor. Hierauf kommen wir im weiteren Verlauf der vorliegenden Studie zurück. Im Folgenden (Abschnitt 2.3) erläutern wir zunächst, was unter linkem Rand des Mittelfeldes verstanden wird und gehen auf dessen mögliche Analogien mit der italienischen linken Satzperipherie ein.
2.3 Der linke Rand des deutschen Mittelfeldes
Ausgehend von Cinques (1999) Arbeit über die Reihenfolge der Adverbiale in den Sprachen der Welt haben Frey/Pittner (1998) und Pittner (1999) gezeigt, dass der Bereich im deutschen Mittelfeld links von Satzadverbialen – das heißt, „Adverbiale, die eine Einschätzung des im Satz beschriebenen Sachverhalts durch den Sprecher bezeichnen“ (Frey 2000: 139) wie z. B. glücklicherweise, leider, offensichtlich und wahrscheinlich – auf Hintergrund-Information spezialisiert ist (cf. auch Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997: 1560–1562; Hoffmann 2014: 494– 495). In der Grammatikschreibung wird der Bereich des Mittelfeldes links von Satzadverbialen normalerweise (i) mit der Wackernagel-Position assoziiert, die durch unbetonte Personalbzw. Reflexivpronomina (cf. u. a. Abraham 1997; Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997: 1557) besetzt ist und (ii) mit der Position der Modalpartikeln, die typischerweise unmittelbar auf die Wackernagelposition folgen (Lenerz 1984: 87; Haider 1993: 178–179). Jedoch lässt sich im linken Bereich des Mittelfeldes auch eine weitere Position ausmachen, die wir im Folgenden LRM (linker Rand des Mittelfeldes) nennen werden, die durch nominale Konstituenten besetzt werden kann. In (9) befindet sich in LRM die Konstituente Otto.
(9)
Nächstes Jahr wird [Otto]LRM wahrscheinlich seine Kollegin heiraten.
(Frey 2000: 140)
In der Forschung besteht keine Einigkeit darüber, welche Art von nominalen Konstituenten und wie viele in LRM stehen können. Nach Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997: 1560–1561) gehören die Konstituenten in LRM zum Hintergrund der Information bzw. sind „Hintergrund-Einheiten“. In Beispiel (10) sind er das Auto morgen Hintergrund-Einheiten. Demgegenüber stellen die Konstituenten des Mittelfeldes, die rechts vom Satzadverb vielleicht stehen, Vordergrund-Einheiten dar:
(10)
Könnte Lisa wohl morgen seinen Wagen haben?
Ich weiß nicht; er hat gesagt, dass [er das Auto morgen]LRM/Hintergrund vielleicht [seinem Freund leiht]Vordergrund.
(Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997: 1561, Beispiel 5“)
Zum Hintergrund-Status der Elemente in LRM besteht in der Forschung zum großen Teil Einigkeit. Allerdings ist die genauere Bestimmung dieser Hintergrund-Einheiten noch umstritten. Zu den Hintergrund-Einheiten zählen Topikkonstituenten. Frey (2000: 148) vertritt die These, dass der LRM (den er „Topikbereich“ nennt) auf Aboutness-Topiks spezialisiert ist, wobei er auch durch mehrere davon besetzt werden kann. Frascarelli/Hinterhölzl (2007) kommen demgegenüber durch die Analyse von einem deutschen Korpus gesprochen-sprachlicher Daten zu anderen Ergebnissen. Sie zeigen, dass in ihren Daten in LRM nicht nur Aboutness-Topiks stehen können, sondern auch Kontrastund Familiaritätstopiks. Dabei sei die einzige mögliche Reihenfolge: Aboutness-Topik > Kontrast-Topik > Familiaritätstopik. Aboutnessund Kontrast-Topiks sind nach Frascarelli/Hinterhölzl (2007) nicht rekursiv, das bedeutet, in LRM kann nur ein einziges Aboutnessbzw. Kontrasttopik stehen. Familiaritätstopiks seien demgegenüber rekursiv.
In folgender Tabelle werden die Hypothesen zur Besetzung des LRMs nach Frey (2000) und Frascarelli/Hinterhölzl (2007) gegenübergestellt:
3 Forschungsfragen der vorliegenden Studie, Daten und Methode
Ziel der vorliegenden Studie ist es, anhand von authentischen Daten aus schriftlichen und mündlichen Korpora, die in der Literatur überwiegend auf der Basis von Introspektion bzw. konstruierten Beispielen vertretenen Thesen zur Besetzung des deutschen LRMs und zum Parallelismus zwischen dem deutschen LRM und der italienischen linken Satzperipherie zu verifizieren und gegebenenfalls zu falsifizieren. Die zu überprüfenden Thesen über den LRM des Deutschen lassen sich im Detail wie folgt zusammenfassen:
in LRM können nur eines oder mehrere Aboutness-Topiks stehen (Frey 2000);
in LRM kann nur ein Aboutness-Topik bzw. Kontrast-Topik auftreten (Frascarelli/Hinterhölzl 2007);
in LRM können mehrere Familiaritätstopiks auftreten (Frascarelli/Hinterhölzl 2007);
die drei Topiktypen treten in folgender Reihenfolge auf: Aboutness-Topik > KontrastTopik > Familiaritätstopik (Frascarelli/Hinterhölzl 2007).
Aus (i) würde sich ergeben, dass der Parallelismus zwischen dem LRM und der italienischen linken Satzperipherie nicht haltbar ist, da in der italienischen linken Satzperipherie nicht nur Aboutness-Topiks stehen können, sondern alle Topiktypen. Wenn (ii)–(iv) verifiziert werden würden, ergäbe sich demgegenüber, dass der LRM der italienischen linken Satzperipherie entspricht.
Ferner gilt es, der Frage nachzugehen, ob die Besetzung des LRMs im Deutschen durch nominale Topikkonstituenten auch an Nähe-Sprache gebunden ist oder ob sie sich im Gegensatz zur italienischen linken Satzperipherie im Hinblick auf das Register anders verhält.
Um die Punkte (i)–(iv) zu überprüfen und der Frage nach der Relation zwischen LRM und Register nachzugehen, haben wir eine Pilotstudie anhand von Daten aus schriftlichen und mündlichen Korpora des Deutschen durchgeführt. Die Daten stammen aus Pressetexten des Deutschen Referenzkorpus (DeReKo), das durch COSMAS II abgefragt wurde, und aus Gesprächen der Datenbank Gesprochenes Deutsch (DGD, FOLK). Die schriftlichen Daten umfassen alle Ausgaben der Tageszeitungen Süddeutsche Zeitung und Mannheimer Morgen des Jahrgangs 2016. In diesen Korpora haben wir nach Sätzen gesucht, in denen der LRM durch das Auftreten eines Satzadverbials auf sichere Weise bestimmt werden kann. Wir haben 143 Sätze mit dem Satzadverbial glücklicherweise im Mittelfeld herausgefiltert. Aus den Gesprächen der DGD (FOLK) wurden wiederum 339 Sätze mit dem Satzadverbial leider im Mittelfeld und 116 Sätze mit wahrscheinlich im Mittelfeld herausgefiltert. Sätze mit glücklicherweisekonnten nicht herangezogen werden, weil dieses Satzadverb in den Gesprächsdaten der DGD kaum vorkommt. Bei allen Sätzen haben wir die Art der Besetzung des LRMs analysiert und uns auf die Belege konzentriert, in denen der LRM mit lexikalischen Phrasen besetzt ist. In einem zweiten Schritt haben wir die Ergebnisse zur Besetzung des LRMs mit den in 2.2 illustrierten Besetzungseigenschaften der linken Satzperipherie des Italienischen verglichen.
4 Ergebnisse
4.1 Quantitative Daten zur Besetzung von LRM
Von den 143 Sätzen mit glücklicherweise aus den schriftlichen Daten aus dem DeReKo weisen 49 einen mit nominal besetztem LRM auf. In den gesprochen-sprachlichen Daten aus FOLK ist der LRM nur in wenigen Fällen nominal besetzt, und zwar: von den 339 Sätzen mit leider haben 21 einen nominal besetzen LRM; von den 116 Sätzen mit wahrscheinlich weisen nur 11 einen nominal besetzten LRM auf. Tabelle 3 fasst die Daten zusammen:
In den Fällen, in denen der LRM nominal besetzt ist, handelt es sich durchgängig um Topikkonstituenten und nie um Foki oder Quantifikatoren wie niemand, die aufgrund ihrer Semantik nie Topiks sein können (Frey 2000: 141) und deswegen mit dem LRM inkompatibel sind.
4.2 Topiktypen in LRM
Im Folgenden führen wir zunächst Beispiele an, in denen der LRM mit einem einzigen nominalen Topik besetzt ist. In einem zweiten Schritt besprechen wir jeweils ein Beispiel für die Kombinationen aus nominalen Topikkonstituenten in LRM.
In (11) ist ein Beispiel für ein nominales Aboutness-Topik in LRM zu sehen. Der Text ist ein Auszug aus einem Artikel über die Luxusindustrie und die digitale Revolution.
(11)
Klar ist, die Luxusindustrie hat die digitale Revolution weitgehend verschlafen. Viele Marken behandeln das Thema immer noch wie einen hoffentlich vorübergehenden Trend oder rühmen sich ihres kürzlich eingerichteten Instagram-Accounts. Sie mussten sich bisher ja auch nicht groß anstrengen. Louis Vuitton wird „jede Sekunde dreimal auf Google gesucht,“ sagt Antoine Arnault, Sohn des LVMH-Besitzers. Man umarme die neuen technischen Möglichkeiten, wo es Sinn mache, andererseits lasse sich [eine Handtasche]Aboutness glücklicherweise nicht so einfach dematerialisieren wie Musik. Oder, um seinen Vater zu zitieren: „Wer weiß, ob die Leute in zwanzig Jahren noch die Apple Watch tragen – in jedem Fall werden sie noch Dom Perignon trinken.“ Santé, Silicon Valley!
(SZ 02.05.2015: 57)
In der ersten Hälfte des Auszugs wird erklärt, dass man im Großteil der Luxusindustrie glaubt, sich mit der Digitalisierung nicht beschäftigen zu müssen. Als Beispiel wird die Haltung von Antoine Arnault durch direkte (jede Sekunde dreimal auf Google gesucht) und indirekte (Man umarme…) Rede wiedergegeben. Dabei tritt in einem Satz die nominale Konstituente eine Handtasche in LRM (links von glücklicherweise) auf. Im Hinblick auf den unmittelbar vorangegangenen Kontext, in dem nicht von Handtaschen die Rede ist, sondern von der Haltung der Luxusindustrie gegenüber der Digitalisierung, lässt sich eine Handtasche, die eben die konkrete Luxusindustrie und insbesondere das berühmteste Produkt Louis Vuittons darstellt, als Aboutness-Topik einordnen, da es ein Aboutness Merkmal (es bezieht sich auf die Luxusindustrie, worum die Rede ist) aufweist und ein Shift in der Konversation markiert.
Schauen wir nun ein Beispiel für ein Kontrast-Topik an. Der folgende Auszug stammt aus einem Interview mit einem ehemaligen Redakteur der Süddeutschen Zeitung, Hans Leyendecker.
(12)
Jeder Anfang hat etwas Unbestimmtes „Er hat so unabgelaufene Füße“, hat eine meiner vier Töchter, von denen [drei]Kontrast glücklicherweise Borussinnen geworden sind, mal nach der Geburt ihres Sohnes gesagt.
(SZ 20.05.2016: 30)
Hier nennt der Sprecher zunächst seine vier Töchter, um dann von drei von ihnen zu sprechen. Die Konstituente drei, die in LRM (links von glücklicherweise) steht, bezeichnet einen Referenten, der Teil einer bereits genannten Gruppe (vier Töchter) ist, und mit ihr kontrastiert: Deswegen lässt sich die Konstituente drei als Kontrast-Topik einstufen.
In (13), das aus einem Gespräch unter Studenten stammt, finden wir ebenfalls ein Kontrast-Topik.3
(13)
Alltagsgespräch: Planung einer WG-Party (FOLK_E_221) 0664 DN ich will ne Bowle machen (.)
0665 LM du willst ne Bowle machen 0666 (0.43)
0667 DN ((schmatzt)) (.) und diesmal wird sie besser 0668 (0.54)
0669 LM oh ich hab [die andere]Kontrast ja leider nich gecheckt 0670 (0.74)
0671 LM Salat (.) oder doch, hab ich davon was getrunken gehabt
Zunächst ist davon die Rede, dass Sprecher DN eine Bowle für die zu organisierende Party vorbereiten möchte. Thema der Sequenz ist also die Bowle, die DN machen möchte bzw. wird. In LMs Äußerung in Zeile 0669 befindet sich in LRM die Konstituente die andere, die sich auf eine Bowle bezieht, die DN zu einem früheren Zeitpunkt gemacht hat. Diese Konstituente ist also ein Kontrast-Topik, weil sie sich auf einen Referenten (die andere, das heißt, die von LM zu einem früheren Zeitpunkt vorbereitete Bowle) bezieht, der in Kontrast zu einem anderen Referenten (das heißt, die Bowle, die LM vorbereiten möchte) gesetzt wird.
Schließlich betrachten wir ein Beispiel für eine Äußerung, in der in LRM ein Familiaritätstopik steht. Das Beispiel stammt aus einem Interview mit dem Fußballspieler Jens Batzler.
(14)
Ich schieße schon seit meiner Jugendzeit ab und an mal als Keeper einen Elfer, das war jetzt nichts Außergewöhnliches“, findet Batzler. „Ich hatte von hinten den Eindruck, es traut sich niemand so richtig an den Ball. Wir hatten auch die letzten beiden Elfer verschossen. Also bin ich angetreten und habe [das Ding]Fam glücklicherweise reingemacht.
MM (26/03/2016: 14)
In dieser Passage wird der durch die Konstituente den Ball kodierten Referenten durch die Konstituente das Ding, die sich in LRM befindet, wiederaufgenommen. Hieraus ergibt sich die Einordnung von das Ding als Familiaritätstopik. Ähnliches gilt für die Konstituente der Salat in folgendem Auszug aus einem Gespräch beim Kochen. Die Teilnehmer sind dabei, einen Salat anzumachen.
In dieser Sequenz bereiten die Teilnehmer einen Salat vor und machen dabei Kommentare dazu, wie sie ihn anmachen sollen. Der Referent „Salat“ steht also im Mittelpunkt der Konversation, sodass die Konstituente der Salat in LRM in Zeile 0532 als Familiaritätstopik eingestuft werden kann.
4.3 Topiktypen bei mehrfacher Besetzung des LRMs
Ziehen wir nun einige Beispiele für Sätze in Betracht, in denen der LRM durch zwei nominale Konstituenten besetzt ist. Solche Fälle sind ausschließlich in den schriftlichen Daten (Pressetexten) belegt.
(16) ist ein Beispiel für die Abfolge Aboutness-Topik > Familiaritätstopik:
(16)
Den Rebellen werden neben der Massentötung von Zivilisten sexuelle Gewalt, Geiselnahmen und zwangsweise Umsiedlungen vorgeworfen. Angehörige der kolumbianischen Streitkräfte sollen Tausende Zivilisten getötet haben, um diese Toten dann als militärische Erfolge auszugeben. Unterstützung habe das Militär von paramilitärischen Gruppen erhalten, die ihrerseits für massive Gewalt gegen Zivilisten verantwortlich sein sollen.
Nun stellt [das kolumbianische Friedensabkommen]Aboutness [den Völkerstraftätern]Fam glücklicherweise keine Amnestie in Aussicht.
(SZ 27.08.2016: 5)
Dieser Ausschnitt stammt aus einem Artikel zum neuen Friedensabkommen zwischen der kolumbianischen Regierung und den Farc-Rebellen. Dieses Thema wird am Anfang des Artikels eingeführt. Danach folgt ein Teil, in dem berichtet wird, dass bis zum Ende des ersten Weltkriegs vergleichbare Abkommen für Völkerstraftäter die Amnistie vorsahen. Im Anschluss daran folgt ein Teil (der in (16) wiedergegeben ist), in dem auf die Straftaten eingegangen wird, die den Farc-Rebellen vorgeworfen werden. Darauf folgt der Satz, um den es uns nun geht:
(17) Nun stellt [das kolumbianische Friedensabkommen]Aboutness [den Völkerstraftätern]Fam glücklicherweise keine Amnestie in Aussicht.
Auf das Thema des Friedensabkommen wird hier zurückgekommen: Die Konstituente das kolumbianische Friedensabkommen stellt daher ein Aboutness-Topik dar. Am Anfang des Texts befindet sich die Konstituente den Rebellen, die denselben Referenten hat wie die Konstituente den Völkerstraftätern. Aus diesem Grund lässt sich den Völkerstraftätern als Familiaritätstopik einstufen, da sie den Referenten von den Rebellen wiederaufnimmt.
(18) stellt ein weiteres Beispiel für die Abfolge Aboutness-Topik > Familiaritätstopik in LRM dar:
(18)
Phillips befiehlt seiner Crew, sich zu verstecken und liefert sich selbst den Piraten aus. Mit dem Piraten Muse liefert er sich ein Katz und Maus-Spiel an Bord, das auch deshalb so spannend ist, weil die Handkamera zwar auf Hektik macht, aber dennoch nicht die Orientierung verliert. Das Schiff bleibt immer ein realer Ort, es wird nie zum bloßen Spielfeld für Verfolgungsjagden degradiert. Aus dem Action-Thriller wird ein Psychodrama, als Phillips die Piraten tatsächlich vom Frachter vertreiben kann, diese mit dem Rettungsboot die somalische Küste erreichen wollen, aber Phillips als Geisel nehmen. Auch jetzt lässt [Greengrass]Aboutness [ein paar Standardmotive des Unterhaltungskinos]Fam glücklicherweise aus, so erwächst aus Phillips’Annäherung an seine Entführer nie eine Freundschaft. Schließlich geht es ums Geschäft, wie Musi gleich zu Beginn klargestellt hatte – was Folter oder Mord allerdings nicht ausschließt. In der klaustrophobischen Enge des Bootes, das bald belagert wird von einem Aufgebot amerikanischer Kriegsschiffe, wird auch Phillips Nervenstärke und Heldenmut zerrieben.
(SZ 13.11.2013: 13)
Beispiel (18) stammt aus einem Artikel über einen Film vom Regisseur Paul Greengrass. Im ersten Teil dieser Passage wird ein Teil der Geschichte zusammengefasst. Im Anschluss daran fügt der Journalist einen eigenen Kommentar „Auch jetzt lässt Greengrass ein paar Standardmotive des Unterhaltungskinos glücklicherweise aus“ hinzu, um dann mit der Erzählung fortzufahren. In diesem Kommentar ist der LRM durch die nominalen Konstituenten Greengrass und ein paar Standardmotive des Unterhaltungskinos besetzt. Da im vorangegangen Text nicht von Greengrass, sondern über die Handlung des Films die Rede ist, lässt sich Greengrass als Aboutness-Topik einstufen, weil diese Konstituente sowohl Aboutness als auch Shift Merkmale aufweist. Damit kommt also der Journalist wieder direkt auf den Regisseur zu sprechen, wobei unmittebar davor von der Geschichte des Films die Rede war. Demgegenüber kodiert ein paar Standardmotive des Unterhaltungskinos ein Familiaritätstopik dar. Im vorangegangenen Kontext wird nämlich bereits auf Standardmotive des Unterhaltungskinos angespielt, und zwar durch die Äußerung „Das Schiff bleibt immer ein realer Ort, es wird nie zum bloßen Spielfeld für Verfolgungsjagden degradiert“. Die Konstituente ein paar Standardmotive des Unterhaltungskinosnimmt das wiederauf, was schon vorher im Text gesagt wurde, und kann deswegen als ein Familiaritätstopik eingestuft werden.
Schauen wir nun ein Beispiel für die Kombination Aboutness-Topik > Kontrast-Topik an. Es handelt sich dabei um eine Bildunterschrift am Anfang eines Artikels zum hundertsten Geburtstag der Schauspielerin Olivia de Havilland.
(19)
So sanft und gutmütig wie Melanie in „Vom Winde verweht“ war [Olivia de Havilland]Aboutness (hier mit Leslie Howard) [im richtigen Leben]Kontrast glücklicherweise nicht.
(SZ 01.07.2016: 12)
In diesem Kontext lässt sich die Konstituente Olivia de Havilland als Aboutness/Shift-Topik einstufen, weil deren Referent neu eingeführt wird, aber auch ein Aboutness Merkmal aufweist (der Artikel spricht von ihr). Demgegenüber stellt die Konstituente im richtigen Leben ein Kontrast-Topik dar, da sie dem fiktiven Leben im Film Vom Winde verweht gegenübergestellt wird.
5 Auswertung der Ergebnisse und Fazit
Durch die Korpusuntersuchung konnte festgestellt werden, dass in dem LRM jede Art von nominalem Topik stehen kann. Dies widerlegt Freys (2000) Annahme, nach der der LRM für Aboutness-Topiks spezialisiert ist. In unseren Daten treten ferner zwei Aboutness-Topiks nie miteinander auf, was unerwartet ist, da nach Frey (2000) zwei Topikkonstituenten in LRM Aboutness-Topiks sein müssen. Demgegenüber bestehen in unseren Daten Topik-kombinationen durchgehend aus unterschiedlichen Topiktypen. So lässt sich Frascarelli/Hinterhölzls (2007) Annahme, dass mehr als ein Familiaritätstopik in LRM auftreten kann, nicht bestätigen. Die von ihnen postulierte Reihenfolge (Aboutness-Topik > Kontrast-Topik > Familiaritäts-Topik) wird aber auch indirekt durch unsere Daten bestätigt, wobei wir keinen einzigen Beleg für einen LRM mit drei Topikkonstituenten ermitteln konnten. Unsere Daten zeigen, dass bei Kombinationen aus zwei Topiks ein Aboutness-Topik immer vor einem Kontrastbzw. einem Familiaritätstopik auftritt, und dass ein Familiaritätsnach einem Aboutnesstopik vorkommt. Leider konnten wir in unseren Daten keine Belege für die Reihenfolge Kontrastund Familiaritätstopik finden. Tabelle 4 fasst unsere Ergebnisse zusammen und stellt sie mit denen von Frey (2000) und Frascarelli/Hinterhölzl (2007) gegenüber.
Schließlich konnten wir feststellen, dass im Deutschen der LRM vor allem in den schriflichen Daten der Pressetexte genutzt wird, während der LRM in gesprochen-sprachlichen Daten – wenn überhaupt – nur mit einem einzigen nominalen Topik und nie mit mehr als einem Topik besetzt wird. Die mehrfache Besetzung des LRMs ist also in unseren Daten nur in den Pressetexten und nicht in den Gesprächen aus FOLK belegt. Dies scheint dafür zu sprechen, dass im Deutschen die Besetzung des LRMs mit nominalen Konstituenten ein Kennzeichen distanzsprachlicher Texte darstellt. Dies steht im Gegensatz zur Besetzung der italienischen linken Satzperipherie durch nominale topikalisierte Konstituenten, die typisch für informelle, NäheSprache ist. Dies bedeutet, dass sich der LRM des Deutschen und die linke Satzperipherie des Italienischen im Hinblick auf das Register unterscheiden bzw. einander nicht entsprechen.
Tabelle 5 veranschaulicht die Ergebnisse unserer Untersuchung:
Diese Ergebnisse tragen unseres Erachtens dazu bei, den Blick auf die komplexen Beziehungen zwischen Syntax, Informationsstruktur und Sprachverwendung im Deuschen und Italienischen zu schärfen. So geht die syntaktische und informationsstrukturelle Korrespondenz zwischen dem LRM des Deutschen und der linken Satzperipherie des Italienischen nicht mit einer Korrespondenz in der Sprachverwendung einher. Während die linke Satzperipherie des Italienischen, durch ihre äußerungsinitiale Lage und ihre mehrfache Besetzbarkeit dem geringeren Planungsaufwand der Spontansprache entgegenkommt und deren Besetzung mit Topikkonstituenten somit nähesprachliche Texte kennzeichnet, stellt der LRM demgegenüber einen für die spontane Formulierung im Gespräch schlecht zugängliche Position dar. Dies könnte aus unserer Sicht der Hauptgrund für den in unserem Korpus festgestellten Unterschied bei der Besetzung des LRMs in Pressetexten und in den FOLK-Gesprächen sein. Dabei wären weitere Untersuchungen auch anhand authentischer Daten aus dem Italienischen wünschenswert, um unsere These weiter zu verifizieren und gegebenenfalls die Besetzungsmöglichkeiten der italienischen linken Satzperipherie in verschiedenen Textsorten bzw. in näheund distanzsprachlichen Daten zu untersuchen. Ebenfalls wünschenswert wären umfangreichere Untersuchungen, in denen auf empirischer Basis der Frage nachgegangen wird, wie sich die Besetzung des LRMs bzw. der linken Satzperipherie in die gesamte Satzstruktur der jeweiligen Sprache fügt.
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SZ (30.11.2013: 13): Süddeutsche Zeitung, 13.11.2013: 13 „Nussschalen im Weltgetriebe“.
SZ (02.05.2015: 57): Süddeutsche Zeitung, 02.05.2015: 57, „Luxusprobleme“.
SZ (20.05.2016: 30): Süddeutsche Zeitung, 20.05.2016: 30, „Verliebt seit sechzig Jahren“.
SZ (01.07.2016: 12): Süddeutsche Zeitung, 01.07.2016: 12 „Die streitbare Elfe“.
SZ (27.08.2016: 5): Süddeutsche Zeitung, 27.08.2016: 5 „Frieden statt Recht?”
Fußnote