Debates
AUF DER SUCHE NACH ETHIK Gesetzliche Bestimmungen und empirische Fragestellungen für die Anthropologie1
EN QUÊTE D’ÉTHIQUE Dispositions légales et enjeux empiriques pour l’anthropologie1
Searching for Ethics
AUF DER SUCHE NACH ETHIK Gesetzliche Bestimmungen und empirische Fragestellungen für die Anthropologie1
Tsantsa, vol. 25, Esp., pp. 225-242, 2020
Universität Bern
Publicación: 21 Septiembre 2020
Resümee: Dieses Dokument ist die Übersetzung des Artikels “Searching for Ethics: Legal requirements and empirical issues for anthropology” (Perrin et al. 2018). Es analysiert die neuen gesetzlichen Bestimmungen, die sich auf qualitative Forschungspraktiken auswirken und zur Institutionalisierung der Forschungsethik in den Sozialund Geisteswissenschaften in der Schweiz beitragen. Der Beitrag zeichnet die Entstehung neuer Formen der Forschungsregulierung nach und zeigt, wie ihre erkenntnistheoretischen Vorannahmen die Sozialanthropologie herausfordern. Der zwiete Teil diskutiert das Verhältnis von Verfahrens ethik und Prozessethik. Schliesslich diskutieren die Autor·innen die Möglichkeiten, wie Sozialanthropolog·innen und andere qualitativ arbeitenden Sozialwissenschafter·innen sich dazu positionieren könnten.
Schlüsselwörter: Forschungsethik, Recht, informierte Einwilligung, Ethikkommission, Epistemologie.
Résumé: Ce document est la traduction de l’article « Searching for Ethics: Legal requirements and empirical issues for anthropology » (voir Perrin et al. 2018). Il analyse les nouvelles dispositions légales qui impactent les pratiques de recherche qualitative et contribuent à l’institutionnalisation de l’éthique de la recherche en Suisse. Après avoir contextualisé l’émergence de nouvelles formes de régulation de la recherche, il montre comment leurs présupposés épistémologiques affectent l’anthropologie. Il explore ensuite les enjeux liés à l’articulation entre éthique procédurale et éthique processuelle. Enfin, il examine les différentes postures qui pourraient être adoptées par les anthropologues et en sociales qualitatives.1
Mots clés: éthique de la recherche, législation, consentement éclairé, commissions d’éthique, épistémologie.
Das letzte Jahrzehnt hat einen deutlichen Zuwachs an Regulierungen bezüglich der sozialen Beziehungen zwischen Forschenden und Forschungsteilnehmenden mit sich gebracht. Dieser ausgedehnte Geltungsbereich spiegelt sowohl verstärkte staatliche Intervention für den Schutz der Würde, der Privatsphäre und der Gesundheit der Forschungsteilnehmenden wider, als auch die zunehmende transnationale Etablierung neuer wissenschaftlicher Standards, welche von öffentlichen Forschungsförderungsstellen unterstützt werden. Diesen Prozessen liegt der kollektive Wille zugrunde, die Einhaltung der «guten Forschungspraxis» durch die Einführung von administrativen Verfahren zu gewährleisten, welche die Beziehungen zwischen Forschenden und Forschungsteilnehmenden formalisieren.
Es ist wichtig anzumerken, dass die Verfahrensethik(Felices-Luna 2016) – d. h. Verwaltungshandlungen, die auf gesetzlichen Bestimmungen beruhen und darauf abzielen, Forschungsteilnehmende im Voraus durch standardisierte ethische Protokolle zu schützen – nicht mit der in den qualitativen Sozialwissenschaften angewandten Prozessethik übereinstimmt. Unter Prozessethik verstehen wir Ansätze, denen ein umfassendes, relationales und positionelles Verständnis von Forschungsethik innewohnt und deren Prinzipien sich an die Besonderheiten der einzelnen Forschungssituationen anpassen.2 In der Anthropologie besteht Konsens darüber, dass jedes System moralischer Normen in der Praxis Widersprüche und Dilemmata beinhaltet und dass folglich Ethik – und somit das Aushandeln von unterschiedlichen normativen Ordnungen – «eine Anpassung der moralischen Entscheidungen an Kontexte und Umstände» (Massé 2016, Übers.) bedarf. Diese Aushandlungen verfolgen das Ziel «ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen involvierten Parteien zu erreichen» (Felices-Luna 2016: 18, Übers.).
Dieser Artikel aktualisiert und vertieft die kollaborative Arbeit, welche die Arbeitsgruppe Ethik und Deontologie (AED) der Schweizerischen Ethnologischen Gesellschaft (SEG) im Laufe von fast zehn Jahren geleistet hat (siehe Kontextualisierung der AED am Ende des Textes). Dabei werden zwei Ziele verfolgt. Einerseits sollen Sozialwissenschaftler·innen, die mit qualitativen Methoden arbeiten, über die jüngsten Änderungen der schweizerischen Gesetzgebung zur Forschungsethik informiert werden, wobei bisherige Umstrukturierungen ebenso berücksichtigt werden, wie die Richtungen, welche die Regelungen in naher Zukunft einschlagen könnten. Angesichts der Tatsache, dass Anthropolog·innen bislang nicht an den aktuellen politischen Debatten über die neuen gesetzlichen Regelungen teilgenommen haben, soll andererseits der intraund interdisziplinäre Dialog über Forschungsethik gefördert werden. Unsere Analyse der verschiedenen Gesetze, welche die Forschung regulieren, zeigt, dass die Formalisierung der Beziehung zwischen Teilnehmenden und Forschenden durch die «freiwillige, vorherige, informierte Einwilligungserklärung» zunehmend zu einer allgemeinen Bedingung wird. Dieser Trend birgt nicht nur Unsicherheiten bezüglich der zukünftigen Bedingungen für die anthropologische Wissensproduktion (insbesondere Zugänge zu Fördermitteln, Forschungsfeldern und Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Zeitschriften), sondern wirft auch die Frage auf, ob die epistemologischen und methodologischen Annahmen der Anthropologie und anderer qualitativer Wissenschaften in der öffentlichen Debatte über Forschungspolitik und über die Rolle(n) der Wissenschaft in der Gesellschaft berücksichtigt werden.
Dieser Artikel beruht auf der Analyse von Gesetzestexten und Parlamentsdebatten, ergänzt durch eine Reihe von informellen Interviews mit Mitgliedern der SEG, Mitarbeitenden der schweizerischen Bundesund Kantonsverwaltungen sowie Kolleg·innen aus anderen Fachbereichen. Im ersten Teil skizzieren wir zentrale Entwicklungen, die zum Entstehen einer Verfahrensethik beigetragen haben. Anschliessend analysieren wir zum einen die Veränderungen, die durch die Aufnahme von Artikel 118b «Forschung am Menschen» in die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft initiiert wurden. Zum anderen diskutieren wir die Umstrukturierung der kantonalen Ethikkommissionen und die daraus resultierenden Reaktionen der institutionellen Akteur·innen. Abschliessend beschreiben wir die laufende Totalrevision des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG) und die abgeschlossene Revision des Bundesgesetzes über die Förderung der Forschung und der Innovation (FIFG). Dabei zeigen wir, wie die Einwilligungserklärung zu einer zentralen Frage an der Schnittstelle von Recht, Ethik und Epistemologie wird. Im zweiten Teil des Artikels konzentrieren wir uns auf das Spannungsverhältnis zwischen Verfahrensund Prozessethik. Wir zeigen zunächst, wie die anthropologische Debatte dazu beigetragen hat, die Machtverhältnisse zwischen Teilnehmenden und Forschenden in die Analyse miteinzubeziehen, und legen anschliessend die Bedingungen für die wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung dar, die aus der Sicht unserer Disziplin als ethisch gelten. Ausgehend von der Tatsache, dass Anthropolog·innen bislang nicht zu den politischen Debatten über die neuen rechtlichen Bedingungen beigetragen haben, gehen wir auf drei mögliche Haltungen ein, die als Antworten auf die durch bestimmte Rechtsvorschriften geforderte Formalisierung der Beziehungen zwischen Teilnehmenden und Forschenden in Form einer «freiwilligen, vorherigen und informierten Einwilligungserklärung» eingenommen werden könnten.
Pluralität und Veränderungen normativer Ordnungen
Von der Entstehung neuer ethischer Sensibilitäten zu deren Institutionalisierung
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, und nach der öffentlichen Aufdeckung diverser Skandale, ist die wissenschaftliche Forschung zum Gegenstand einer Reihe von Interventionen geworden, die von Berufsverbänden, Universitäten und Staaten geleitet wurden.3 Eine inten sivierte Sensibilität für Forschungsethik äusserte sich in Stimmen innerhalb und ausserhalb des akademischen Umfelds. Wissenschaftliche Praktiken wurden als «unfair», «unehrlich» oder «schlecht» bezeichnet, oder sogar als «schädlich» und «gefährlich» angeprangert. Dies führte zur Einführung von Ethikkodizes der Berufsverbände und anderer Hochschulsatzungen, die darauf abzielten, die Praktiken ihrer Mitglieder durch die Einführung von Leitprinzipien zu regulieren.
In den 1990er Jahren trug die zunehmende Entwicklung von Rechenschaftspflicht und Kontrollregimen weiter dazu bei, diese Regulierung der Forschung zu verstärken. Forschende wurden dazu verpflichtet sowohl eine transparente Darstellung ihrer Praktiken vorzulegen, als auch Risiken zu vermeiden, die von den Institutionen getragen werden müssten, denen sie angehörten (Amit 2000, Strathern 2000, Lederman 2006a, Jacob und Riles 2007, Boden et al. 2009). Unter den verschiedenen getroffenen Massnahmen ist es wichtig, die Bedeutung der Institutional Review Boards (IRB) hervorzuheben, welche zunächst im englischsprachigen Raum entwickelt und später auf andere Länder ausgedehnt wurden. Diese Ausschüsse sind für die Bewertung schriftlicher Forschungsanträge vor Projektbeginn zuständig, mit dem Ziel die Teilnehmenden sowie die Förderund Forschungseinrichtungen zu schützen, indem die Einhaltung ethischer Grundsätze geprüft wird.
Daniel Cefaï und Paul Costey (2009) stellen interessanterweise fest, dass die von den IRBs festgelegten Grundsätze im Wesentlichen denen des Nürnberger Kodex ähnlich sind: (1) Achtung der Individuen als autonome Akteur·innen, insbesondere derjenigen, die als gefährdet gelten und ein Recht auf verstärkten Schutz haben (Minderjährige und Menschen in einer verletzlichen Position aufgrund sozialer Benachteiligung, Stigmatisierung, geistiger Unzurechnungsfähigkeit oder Behinderung); (2) Sorge um die Forschungsteilnehmenden, was bedeutet, dass keine Forschung durchgeführt werden sollte, wenn sie den involvierten Individuen Schaden zufügen könnte und keine Ergebnisse zum Nutzen aller betreffenden Gemeinschaften liefert; (3) Gerechtigkeit, die verlangt, dass die Forschungsteilnehmenden so ausgewählt werden, dass keine Gruppe, die eigentlich von der Forschung profitieren könnte, benachteiligt wird. Im Einklang mit diesen Grundsätzen stellen die IRBs sicher, dass der Schutz der Forschungsteilnehmenden ausreichend garantiert ist (insbesondere Anonymität und Schutz personenbezogener Daten) und dass der Wert der Forschung gewährleistet ist (unter Berücksichtigung der Ziele, Methoden und Verfahrensweisen).
Während die Anwendung der zu befolgenden Protokolle für hypothetisch-deduktive Ansätze mit festgelegten Fragen, definiertem Zeitplan und einer vorbestimmten Auswahl von Teilnehmenden einfach erscheint (Lederman 2007, zitiert in Fassin 2008: 132), ist dies für die anthropologische Forschung weitaus heikler, da sich hier die Fragen im Laufe der Forschung weiterentwickeln und die Ergebnisse anhand begrenzter Datensätze generalisiert werden. Wie von vielen Anthropolog·innen (Wax 1980, Hammersley 2006, Murphy und Dingwall 2007, Shannon 2007, Plankey-Videla 2012) festgestellt wurde, ist die Forderung nach einer «informierten Einwilligung», die im Mittelpunkt der Verfahrensethikder IRBs steht, in vielerlei Hinsicht problematisch.
Es kann sicherlich akzeptiert werden, dass die Forderung nach «informierter Einwilligung» ohne allzu grosse Schwierigkeiten auf die Durchführung von semi-strukturierten Interviews angewendet werden kann. Die Organisation von vorher festgelegten Samples ist jedoch nicht ohne weiteres möglich, da Anthropolog·innen nicht immer im Voraus wissen, mit wem sie Interviews durchführen werden (Dequirez und Hersant 2013). Darüber hinaus kann die Forderung nach der Unterzeichnung einer Einwilligungserklärung Misstrauen bei den Interviewpartner·innen wecken. Schliesslich ist die Entwicklung eines Vertrauensverhältnisses, das manchmal geduldig im Laufe der Zeit hergestellt wird, von grundlegender Bedeutung für die Arbeit der Ethnograph·innen. Es sei auch darauf hingewiesen, dass die vom IRB vorgelegten Forschungsprotokolle informelle Interviewsituationen nicht berücksichtigen. Jedoch sind es oft die informellen «Gespräche» (Olivier de Sardan 1995, Übers.), die während der Beobachtungen geführt werden, durch die Anthropolog·innen zu einer Vielzahl ihrer Daten kommen. Die Einhaltung der geforderten systematischen informierten Einwilligung ist daher in der Forschung, die auf teilnehmender Beobachtung basiert, schwierig, selbst wenn die Rolle der Anthropolog·innen klar verstanden wird und im Voraus mit den untersuchten Institutionen und Gruppen ausgehandelt wurde. Wie Rena Lederman betont, hat diese Problematik zwei Dimensionen: zum einen die Informalität einiger Feldforschungssituationen, sprich «die unverkennbaren Momente der ethnographischen Praxis, in denen ‹Forschung› und ‹Alltag› untrennbar miteinander verbunden sind» (2006a: 477, Übers.); und zum anderen die teilnehmende Beobachtung, deren Besonderheit darin besteht, «kontextuelle Kontrolle in die Hände der Forschungsteilnehmenden» (op.cit.: 479, Übers.) zu legen. Darüber hinaus ist es kaum vorstellbar, bei jeder Beobachtung nach einer Unterschrift der Einwilligungserklärung zu fragen – selbst dann, wenn man das Risiko der dadurch entstehenden Störung von Beziehungen und dem Arbeitsprozess ausser Acht lässt.
Diese methodologischen Fragen erklären zu einem gewissen Grad die komplexe Beziehung, die manchmal auf Widerstand beruht, zwischen Anthropolog·innen und der Institutionalisierung der Verfahrensethik. Anthropolog·innen weisen auf die Notwendigkeit einer gewissen Vorsicht bei formalen Einschränkungen hin, da deren Anwendung unter Umständen nicht nur der Qualität der Forschung, sondern auch den Forschungsteilnehmenden schaden könnte (Hammersley 2009). Spannungen, die durch unterschiedliche methodische Auffassungen über die Verwendung und Folgen der informierten Einwilligung entstehen, rufen in Erinnerung wie in den 1970er-Jahren ein zunehmendes Bewusstsein für die politische Dimension der Beziehung zwischen Anthropolog·innen und den von ihnen untersuchten Gesellschaften entstand. Seitdem wurde eine Reflexionsgrundlage entwickelt (Blondet und Lantin Mallet 2017), die die Forschenden auffordert, ihre Präsenz im Feld als Teil der Wissenskonstruktion zu analysieren und interpretieren. Damit wird deutlich über die einfache Frage der informierten Einwilligung hinausgegangen, wie sie in den biomedizinischen Wissenschaften praktiziert wird (Hoeyer et al. 2005). Wie wir sehen werden, hat dieses Bewusstsein für die politische Dimension der Forschung Anthropologen·innen dazu veranlasst, eine Prozessethikzu entwickeln. Eine solche Ethik ist in der Regel gekennzeichnet durch Dialog, Reziprozität und Wahrung des Vertrauens und bildet oft die Grundlage für die Beziehung zu den Forschungsteilnehmenden.4 Dieser ethische Ansatz wird von anderen qualitativen Sozialwissenschaften geteilt (siehez. B. Ritterbusch 2012, Burton-Jeangros 2017). Die Prozessethik kann sich jedoch nicht mehr unabhängig vom rechtlichen Kontext entwickeln, der nicht nur über die IRBs hinausgeht, sondern tendenziell die Anforderungen an jegliche Forschungsinitiativen spezifischer und straffer gestaltet. Um zu veranschaulichen, wie sich die staatliche Intervention in der Forschungspraxis niederschlägt, untersuchen wir im Folgenden die Einführung bzw. Überarbeitung von drei Bundesgesetzen: das Bundesgesetz über die Forschung am Menschen (Humanforschungsgesetz, HFG); das Bundesgesetz über den Datenschutz (DSG) und das Bundesgesetz über die Förderung der Forschung und der Innovation (FIFG).
Unsicherheit über den Geltungsbereich des neuen HFG
Die Schweiz ist ein interessantes Beispiel für die Entwicklung einer zunehmenden Regulierung der Forschung durch die Etablierung standardisierter ethischer Protokolle, da in jüngster Zeit eine Verschärfung des Rechtsrahmens stattgefunden hat. Viele Jahre lang fehlte in den Gesetzen der Schutz der Forschungsteilnehmenden. Als das erste Gesetz über die Finanzierung der Universitäten 1968 erlassen wurde, waren es der Wissenstransfer an die jüngere Generation und die Zusammenarbeit zwischen Forschenden, die im ersten Artikel als «gute wissenschaftliche Praxis» identifiziert wurden (Bundesversammlung 1968: 10). Mit der Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Vergabe von Mitteln an Forschungseinrichtungen im Jahr 1983 wurden neue Grundsätze in das Konzept der «guten wissenschaftlichen Praxis» aufgenommen (Art. 2 und 3): Achtung der Freiheit von Lehre und Forschung; Achtung der Vielfalt von Meinungen und wissenschaftlichen Methoden; Förderung der neuen Generation von Wissenschaftler·innen und Erhaltung der Qualität des Forschungspotenzials; und internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit (Bundesversammlung 1983: 1062-1063). Ebenso zielen die 1983 im Forschungsgesetz festgelegten «guten wissenschaftlichen Praktiken» in erster Linie darauf ab, die Verwendung von Subventionen des Bundes für kommerzielle Zwecke zu verhindern (Art. 7), die Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (Art. 28) und zu garantieren, dass die Forschung von wissenschaftlichem und allgemeinem Wert ist (Art. 29).
Mit der politischen Bereitschaft, die Schweizer Bundesverfassung durch die Aufnahme eines Artikels über die «Forschung am Menschen» zu ändern, kam es zu einem deutlichen Richtungswechsel im rechtlichen Rahmen der Wissenschaftsethik5. Der Verfassungsartikel 118b wurde am 7. März 2010 in einem Referendum verabschiedet und bildete die Rechtsgrundlage für die Schaffung des neuen HFG. Dieser Richtungswechsel folgte einem Skandal um illegale klinische Praktiken6 in der Schweiz und war motiviert durch radikale Veränderungen in der biomedizinischen Forschung, die auf der grossen Menge und Verfügbarkeit von personenbezogenen Daten in digitaler Form – genomisch, klinisch und gesundheitlich – basieren. Ziel des Gesetzes ist es, «Würde, Persönlichkeit und Gesundheit des Menschen in der Forschung schützen» (Art. 1). Das Gesetz strebt ausserdem an förderliche Bedingungen für die Forschung zu schaffen, Qualität zu garantieren und Transparenz zu gewährleisten. Es sei darauf hingewiesen, dass das Gesetz nicht für jede akademische Disziplin gilt, sondern für Forschungsaktivitäten im Gesundheitsbereich einschliesslich anvisierter Forschungsfragen und angewandter Methoden.
Die Auslegung des HFG ist angesichts der offenen Definition des Gesundheitsbereichs, auf den das Gesetz angewendet wird, von zentraler Wichtigkeit. In den durchgeführten Beratungen während der Entwicklung des HFG, zu denen die SEG einen aktiven Beitrag geleistet hat, begrüsste der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF, FNS auf Französisch) zwar den Vorschlag zur Schaffung eines solchen Rechtsrahmens, wies aber auf eine Reihe von Schwachstellen in den ersten Gesetzentwürfen hin. In einer Pressemitteilung vom 31. Mai 2006, wurde insbesondere die nicht eindeutige Definition des Geltungsbereiches «Forschung im Gesundheitsbereich» betont und auf mögliche nachteilige Folgen hingewiesen: «Neben medizinisch-biologischer Forschung, könnte es [diese Beschreibung] alle empirische Forschung in den Sozialund Verhaltenswissenschaften beinhalten. Der SNF ist der Ansicht, dass das Gesetz stattdessen auf diejenigen Bereiche beschränkt werden sollte, in denen wissenschaftliche Forschung einen tatsächlichen Einfluss auf die Gesundheit der involvierten Personen haben könnte» (FNS 2006: 1, Übers.).
In dem schliesslich angenommenen Rechtsakt wurde die Definition geändert, um diesen Vorbehalten Rechnung zu tragen. Der Geltungsbereich wird nun im ersten Absatz von Artikel 2 wie folgt definiert: «Dieses Gesetz gilt für die Forschung zu Krankheiten des Menschen sowie zu Aufbau und Funktion des menschlichen Körpers, die durchgeführt wird: mit Personen; an verstorbenen Personen; an Embryonen und Föten; mit biologischem Material; mit gesundheitsbezogenen Personendaten» (Bundesversammlung 2011: 2). Die Definition ist zwar präziser geworden, bleibt aber im Hinblick auf viele Forschungsprojekte in den qualitativen Sozialwissenschaften ambivalent7, in denen oft indirekt personenbezogene Informationen zum Thema Gesundheit gesammelt werden.
Ein Ethiker des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit (BAG), der für die Kommunikation über die Regulierung der Forschung am Menschen zuständig ist und den wir kontaktierten, sagte zu diesem Punkt: «Für die Sozialwissenschaften fallen nur solche Projekte in den Geltungsbereich des Gesetzes, bei denen gesundheitsbezogene Daten mit Daten wie Biomarkern (biologisches oder genetisches Material), sowie zum Beispiel Labortestergebnissen, in Zusammenhang gebracht werden» (Interviewnotizen, Übers.). Laut einem Mitglied einer kantonalen Ethikkommission können zwar gesundheitsbezogene Daten in ethnographischen Forschungsprojekten erhoben werden, aber nur jene Projekte, die tatsächlich das Ziel haben, Wissen in einem medizinischen oder gesundheitlichen Bereich zu generieren, fallen in den Geltungsbereich des Gesetzes. Dem Mitglied einer anderen kantonalen Ethikkommission zufolge ist der Zugang zu medizinischen Akten als Forschungsmaterial ein entscheidendes Kriterium, selbst wenn die meisten Entscheidungen von Fall zu Fall getroffen werden. Dies zeigt sowohl die Unklarheit über die praktische Anwendung des Gesetzes in Bezug auf ethnographische Projekte, als auch den Interpretationsspielraum der den kantonalen Ethikkommissionen überlassen wird. Der Umfang des HFG bleibt somit trotz Klärungsversuchen des BAGs im Jahr 2013 und der Swissethics8 in den Jahren 2014 und 2015 teilweise undefiniert.
Auf verschiedenen Ebenen wurden Initiativen ergriffen, um diese Unsicherheiten9 zu beheben. Im Jahr 2015 veröffentlichte die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) einen Praxisleitfaden, der unter Berücksichtigung des HFG überarbeitet und ergänzt wurde. Der Leitfaden, der von Swissethics als nützliches Instrument anerkannt ist, gibt einen Überblick über die wichtigsten Fragen bezüglich des HFG und legt die «guten Praktiken» dar, die befolgt werden sollten. Er betont, dass es wichtig ist, eine zu wörtliche Auslegung der Rechtsvorschriften zu vermeiden: «[…] die etablierten Standards der Forschungsethik innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft, aber auch in der Öffentlichkeit ständig kritisch zu hinterfragen» (SAMW 2015: 18). Der Leitfaden erkennt an, dass die Definition des Geltungsbereichs des Gesetzes offen für Interpretationen ist und dass es je nach Einzelfall angewendet werden sollte. Einer der aufgeworfenen Punkte ist die Frage, was «Forschung» nach dem Modell von «Qualitätssicherungsprojekten» ist und was nicht. In Zweifelsfällen empfiehlt der Leitfaden, dass Ratschläge von kantonalen Ethikkommissionen eingeholt werden sollten10.
Diese Unsicherheiten sorgen für Unzufriedenheit bei den Forschenden, und es werden bereits in den Jahren 2019–2020 Gesetzesänderungen bzw. -ergänzungen erwartet. Eine der zentralen Fragen, die gelöst werden sollte, ist, ob der Geltungsbereich des HFG geklärt werden muss oder ob ethische Verfahren auf alle Forschungsprojekte ausgedehnt werden sollen, unabhängig von der Studienrichtung und Disziplin. In der Zwischenzeit tun alle Beteiligten, sowohl Institutionen als auch Einzelpersonen, ihr Bestes, um den rechtlichen Rahmen angemessen zu interpretieren, entsprechend ihrer Position in der «Lieferkette» der wissenschaftlichen Forschung, von Geldgebern bis zu Forscherinnen.
Damit überlässt der SNF es den Antragstellenden von Forschungsgesuchen, zu entscheiden, ob ihr Projekt eine ethische Beurteilung erfordert. Es sind daher die Forschenden, die das Kästchen ankreuzen müssen, welches angibt, ob es sich bei dem Projekt um eine «Forschung am Menschen» handelt oder nicht. Wenn die Gesuchstellenden dieses Kästchen nicht ankreuzen, liegt es auch nicht im Aufgabenbereich des SNF zu prüfen, ob die Forschung mit dem HFG übereinstimmt. Die Forschenden müssen daher ihre eigenen Ressourcen – oder die Unterstützung der Institution, für die sie arbeiten – nutzen, um zu entscheiden, ob ihre Projekte unter das HFG fallen, und sie gegebenenfalls an die von der jeweiligen kantonalen Ethikkommission festgelegten Verfahren anpassen.
Umstrukturierung von kantonalen Ethikkommissionen und institutionelle Reaktionen
Nach Inkrafttreten des HFG wurden die kantonalen Ethikkommissionen, die oft in Universitätskliniken entwickelt wurden, bezüglich Region, Grösse und Mitgliedschaft umstrukturiert mit dem Zweck ihre Tätigkeiten zu rationalisieren. Mit dem Ziel, die verfügbaren Ressourcen zu optimieren und die je nach Kanton unterschiedlich vielen Bewertungsgesuche zu koordinieren, wurden kantonale und regionale Ethikausschüsse für die Forschung am Menschen eingesetzt.
Die Kommissionsmitglieder haben in der Regel einen Hintergrund in den biomedizinischen Wissenschaften oder im Recht. So hatte beispielsweise die Genfer Ethikkommission zum Zeitpunkt der Ausarbeitung dieses Artikels 38 Mitglieder, von denen nur acht Personen keinen medizinischen oder paramedizinischen Beruf ausübten11. Obwohl dieser Ausschuss als erster in der ganzen Schweiz eine Anwaltschaft für Patienten·innenrechte eingerichtet hat, vertritt keines seiner Mitglieder die qualitativen Sozialwissenschaften. Diese deutliche Unterrepräsentation zeigt nicht nur, dass Forschende, die qualitative Methoden anwenden, Ethikkommissionen, die sich vor allem auf die biomedizinische Forschung konzentrieren, als irrelevant beurteilen, sondern auch, dass sie ein anderes Verständnis von ethischen Fragen haben, wie wir weiter unten diskutieren werden.
Als Antwort auf die Institutionalisierung der Verfahrensethik,die Forderung von Geldgebern und wissenschaftlichen Zeitschriften nach ethischen Garantien und die Unsicherheit über den Geltungsbereich des HFG, wurden in jüngster Zeit mehrere Anpassungsversuche vorgeschlagen. Einige Universitäten haben Initiative ergriffen und ihre eigenen Gremien gegründet, um ethische Fragen intern zu regeln. Obwohl es grosse Unterschiede in den institutionellen Praktiken gibt, zeichnet sich eine allgemeine Tendenz ab: die Stärkung der Verfahren in Bezug auf die Forschungsethik unter Berücksichtigung des rechtlichen Rahmens der HFG.
Die Institutionen nehmen nun durch unterschiedliche Strategien durchsetzungsfähigere Positionen ein: von der Regulierungspflicht durch die IRBs, auf die (auch bei studentischen Arbeiten) zurückgegriffen werden muss, bis hin zur Überlassung der Bewertung an Forschungsteams (Burton-Jeangros 2017). Einige Hochschulen entscheiden sich für eine Nicht-Regulierung dieser Frage und geben keine allgemeinen Hinweise zur Forschungsethik. Andere wiederum fördern ein Nachdenken über die akademische Integrität und befassen sich vor allem mit Fragen von Betrug und Plagiaten.
Im Hinblick auf die formalen Anforderungen an die Forschung innerhalb des HFG kann keine dieser Initiativen die kantonalen Ethikkommissionen ersetzen. Sie sind jedoch untrennbar mit den gesetzlichen Anforderungen verbunden und fungieren gegebenenfalls als Schnittstelle zwischen den Geldgebern – dem SNF oder oftmals privaten Stiftungen –, den Universitäten, kantonalen Ethikkommissionen und Forschenden. Als Beispiel für solch eine Vermittlerrolle ist die Universität Neuchâtel nennenswert, die eine Kommission zur Ethikprüfung institutionalisiert hat, welche sich als Anlaufstelle zwischen Forschenden und dem kantonalen Ethikausschuss präsentiert. Sie unterstützt insbesondere die Beurteilung ethischer Fragen, die es ermöglicht, darüber zu entscheiden, ob es notwendig ist, einen Antrag an den kantonalen Ausschuss zu stellen (oder nicht) unter Berücksichtigung der Anliegen der Forschenden. Sie fördert auch die Weiterbildung von Forschenden in Fragen der Forschungsethik.
Angleichung an europäische Standards und Institutionalisierung restriktiver Normen: die Revisionen des DSG und des FIFG
Während das HFG das Thema Forschungsethik in den qualitativen Sozialwissenschaften12 in den Vordergrund der Debatte gestellt und zu dessen Institutionalisierung beigetragen hat, sind die Folgen der Totalrevision des DSG unklar geblieben. Die Schwierigkeiten, die der AED von Forschenden, die Mitglieder der SEG sind, gemeldet wurden, deuten jedoch auf Hindernisse bei der Durchführung von Forschungsprojekten hin, die nicht aus dem HFG, sondern aus dem DSG resultieren. Was ist das für ein Gesetz und was bedeutet es für Anthropolog·innen? Ziel des DSG ist es, natürliche und juristische Personen (Unternehmen und Verbände) vor nachteiligen Auswirkungen – wie der Beeinträchtigung der Privatsphäre, Reputation oder Kreditwürdigkeit sowie vor möglicher Überwachung – infolge der Verarbeitung personenbezogener Daten zu schützen. Das Anliegen, die Daten in einer Gesellschaft zu schützen, die durch wachsende Möglichkeiten der Informationsund Kommunikationstechnologien gekennzeichnet ist, wurde bereits 1971 in einem ersten parlamentarischen Antrag zum Ausdruck gebracht. Im Jahr 1977 folgten zwei parlamentarische Initiativen, die die Entwicklung eines Bundesgesetzes über den Datenschutz forderten (Bundesrat 1988: 426). Das DSG wurde schliesslich 1992 verabschiedet. Es zielt in erster Linie darauf ab, ein Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen von Wirtschaft und Industrie auf der einen Seite und dem Schutz des Individuums auf der anderen Seite herzustellen. Da die Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht für Forschungszwecke spezifische Fragen aufwirft, stellt die medizinische Forschung einen sehr wesentlichen Gegenstand des Gesetzes dar. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich um ein öffentliches Gut handelt, genehmigt das DSG die Verarbeitung personenbezogener medizinischer Daten für Forschungszwecke vorbehaltlich der informierten Einwilligung (op. cit.: 524–525).
Andere Forschungsaktivitäten sind ebenfalls, wenn auch in geringem Masse, von der Regulierung der Datenverarbeitung betroffen. Die Botschaften, die dem ursprünglichen Gesetz und dessen aktueller Überarbeitung beiliegen (op. cit., Bundesrat 2017), berücksichtigen die Besonderheiten der Forschung. Diese wird in dieselbe Kategorie wie Planung und Statistik eingestuft, da ihre Ziele nicht direkt mit den Forschungssubjekten in Beziehung stehen. Das Gesetz erkennt zwar an, dass Forschung im öffentlichen Interesse liegt, verlangt aber, dass die verarbeiteten Daten anonymisiert werden. Forschungsergebnisse können daher veröffentlicht werden, vorausgesetzt, sie sind anonymisiert und es somit nicht möglich ist, Forschungsteilnehmende zu identifizieren. Das DSG schafft jedoch eine Kategorie von Daten, genannt «besonders schützenswerte Personendaten», die aufgrund des erhöhten Schadensrisikos für Einzelpersonen einer speziellen rechtlichen Regulierung unterliegen. Nach Artikel 4 Absatz c des aktuellen Gesetzentwurfs umfasst diese Kategorie Daten «über religiöse, weltanschauliche, politische oder gewerkschaftliche Ansichten oder Tätigkeiten»; «über die Gesundheit, die Intimsphäre oder die Zugehörigkeit zu einer Rasse oder Ethnie»; «genetische Daten»; «biometrische Daten, die eine natürliche Person eindeutig identifizieren»; «Daten über verwaltungsund strafrechtliche Verfolgungen oder Sanktionen»; und «Daten über Massnahmen der sozialen Hilfe» (Bundesversammlung 2017: 7207–7208). Mit dem Ziel der Vollständigkeit unterwirft dieser Gesetzesentwurf die Verarbeitung solcher Daten einer Einwilligung, die explizit, frei und informiert sein sollte, was dazu führt, dass dieses Vorgehen zu einem wesentlichen Bestandteil der Forschung in allen Disziplinen wird.
Das derzeitige Ausmass der Digitalisierung von Daten oder Big Data sowie die von den Fördereinrichtungen begünstigten Open-Access-Richtlinien (Banister 2007, Coll 2016, Leonelli et al. 2017, Wyatt 2017) stehen im Mittelpunkt der laufenden Totalrevision des DSG. Sie fliessen somit in die Diskussionen rund um Datenschutz und Einwilligung ein. Obwohl das Phänomen im schweizerischen Kontext noch nicht zu beobachten ist, ist die Forschungsethik in einer Reihe von Ländern, darunter die Vereinigten Staaten, Kanada13 und Frankreich, Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten geworden (Atlani-Duault und Dufoix 2014). Die Leichtigkeit, mit der sich Forschungsergebnisse ausserhalb der Forschungslandschaft verbreiten, sowie die Tatsache, dass es häufig unmöglich ist, sie für die betreffende Personengruppe vollständig zu anonymisieren, tragen dazu bei, dass nach der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen Verfahren gegen Forschende wegen Verleumdung eingeleitet werden (Laurens und Neyrat 2010, Avanza 2011).14 Diese Verfahren zeigen, wie bestimmte Teilnehmende, die über ausreichende sozioökonomische Ressourcen verfügen, die Verbreitung von Forschungsergebnissen behindern können.
Unsere Analyse des FIFG zeigt, dass bei der jüngsten Totalrevision Änderungen der internationalen Standards berücksichtigt wurden. Seit 2012 enthält das neue FIFG Bestimmungen zur Einhaltung der Grundsätze der «wissenschaftlichen Integrität» und der «guten wissenschaftlichen Praxis», die bei früheren Teilrevisionen nicht berücksichtigt wurden: «Die Forschungsförderungsinstitutionen achten darauf, dass bei der von ihnen geförderten Forschung die Regeln der wissenschaftlichen Integrität und der guten wissenschaftlichen Praxis eingehalten werden» (Bundesversammlung 2012, art. 12.1). In diesem Sinne definiert der erste Absatz des Artikels 12 «den Grundsatz [der wissenschaftlichen Integrität und guten wissenschaftlichen Praxis] als allgemeine Norm» (Bundesrat 2011: 8880) und trägt zur Integration neuer wissenschaftlicher Standards in der Schweiz bei.
Der freie Zugang zu Forschungsdaten – Open Data – zur Validierung der Reproduzierbarkeit von Ergebnissen ist zu einem internationalen Prinzip der «guten wissenschaftlichen Praxis» geworden (dies ist beispielsweise der Fall im europäischen Forschungsprogramm Horizont 2020). Mit der Verpflichtung, für alle seit Oktober 2017 beim SNF eingereichten Forschungsgesuche einen Data Management Plan (DMP) beizulegen, entsteht ein neuer Verwaltungsaufwand für die Forschenden. Ziel ist es zwar, die Vergleichbarkeit und gegenseitige Nutzbarkeit von Forschungsdaten und die Validität wissenschaftlicher Erkenntnisse zu erhöhen, aber diese neue institutionelle Anforderung rückt auch Probleme bezüglich des Datenschutzes in den Mittelpunkt. Eines der Probleme ist die Auswirkung dieser neuen Anforderungen auf finanzielle und zeitliche Ressourcen. Wie die kanadische Forscherin Felices-Luna (2016) zeigt, zwang eine zum Zeitpunkt des Antrags auf ethische Zulassung nicht zu erwartende Änderung des Ortes der Datenspeicherung sie dazu, der Kommission ein Forschungsprotokoll erneut vorzulegen, was mit hohen Verwaltungskosten verbunden war. Ein weiteres Problem ist die Herausforderung der Datenanonymisierung im Dienste des Datenaustausches. In der Schweiz gibt es derzeit kein registriertes Verfahren und in Ermangelung dessen bleibt der genaue Umfang des DSG bei der Verarbeitung von Daten aus der qualitativen Forschung ungewiss. Wie ein Forscher, der über die Archivierung von sozialwissenschaftlichen Daten arbeitet, uns jedoch erzählte, werden die Daten in der Praxis so gut wie möglich geschützt, um zukünftige Ansprüche vor Gericht zu verhindern. Eine wesentliche Konsequenz davon ist, dass die ausdrückliche schriftliche Einwilligung zu einer zwingenden Voraussetzung für die Datenverarbeitung undarchivierung wird, einschliesslich der Weiterverwendung von Daten.
Die zunehmende administrative Beschränkung bezüglich der Datenverwaltung verdeutlicht das Spannungsverhältnis zwischen Verfahrensund Prozessethik. Ein gutes Beispiel dafür ist die Forderung nach einer schriftlichen Einwilligungserklärung für jedes Forschungsprojekt. Diese institutionelle Anforderung tendiert dazu, die Frage der Ethik auf ein Konzept des Rechtsschutzes zu reduzieren (Jacob 2007). Anthropolog·innen jedoch vertreten die Ansicht, dass Fragen der Forschungsethik weit über die Verwaltung der Einwilligungserklärung hinausgehen (Berthod et al. 2010). Die Revision des DSG verfolgt das Ziel, die neuen europäischen Normen zu integrieren, die durch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) eingeführt wurden und am 25. Mai 2018 in Kraft getreten sind. Angesichts der Wichtigkeit der genannten Themen erachten wir es für notwendig, über diese Spannung sowie über verschiedene Reaktionsmöglichkeiten zu reflektieren.
Zwischen Verfahrensund Prozessethik: Spannungen in der Forschungspraxis
In diesem zweiten Teil des Artikels werden die Spannungen zwischen Verfahrensund Prozessethik in Bezug auf die Positionierung und Praxis der anthropologischen Forschung untersucht. Der Unterschied zwischen diesen beiden ethischen Auffassungen zeigt sich in den unterschiedlichen Reaktionen auf die Skandale, welche die Geschichte der biomedizinischen Wissenschaften auf der einen Seite und der Anthropologie auf der anderen Seite geprägt haben. Während die Ersteren ihre Aufmerksamkeit auf das Recht des Einzelnen auf Schutz und informierte Einwilligung lenkten, haben die Letzteren ihre ethische Bedenken eher als Teil einer Politisierung der Forschung und der Entwicklung reflektierender, situierter und relationaler Ansätze positioniert (Hoeyer et al. 2005, Ellis 2007, Ferdinand et al. 2007). Um die spezifische Beschaffenheit der Forschungsethik, wie sie in der Anthropologie entwickelt wurde, zu verstehen, ist es notwendig, die Art und Weise zu untersuchen, wie sie entstanden ist.
Feldbeziehungen, Machtbeziehungen?
In Verbindung mit geopolitischen Reformulierungen im Zuge der Entkolonialisierungsprozesse kamen in den 1970er Jahren grundlegende Überlegungen über die Rechte und den Schutz von Forschungsteilnehmenden auf. Diese Reformulierungen führten zu einer radikalen Veränderung des traditionellen Forschungsobjekts der Anthropologie – kleine Gesellschaften, die als «anders» gelten – und ermöglichten eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Disziplin und dem bis dahin erzeugten Wissen. In einem allgemeinen Klima des sozialen Wandels wurden die Bedingungen, unter denen Wissen produziert und genutzt wird, im Licht der komplexen Machtverhältnisse zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten überdacht, was zu einer Reflexion über das Verhältnis von Wissen und Macht in der Disziplin führte (Clifford und Marcus 1986).
In diesem Rahmen kam es zu einer Politisierung der moralischen Verantwortung der Forschenden und der Entwicklung von epistemologischen und methodischen, und nicht verfahrenstechnischen, Antworten. Reflexivität wurde zu einem wesentlichen Bestandteil der Anthropologie, insofern als die Analyse der Beziehungen zu den Forschungsteilnehmenden und zu sozialen Situationen integraler Bestandteil der Forschung wurde, vom Feldzugang bis zur Veröffentlichung der Ergebnisse. Um eine symmetrischere Beziehung zwischen Forschenden und Teilnehmenden zu entwickeln, wurden auch dialogische und polyphone Ansätze entwickelt (Crapanzano 1977, Dwyer 1977), um den Stimmen und Visionen der Forschungsteilnehmenden mehr Gewicht und Sichtbarkeit zu geben. Obwohl kritisiert als eine Form des politischen Reduktionismus, bei dem die Beziehungen zwischen Forschenden und Teilnehmenden auf die Frage des Schreibens beschränkt blieb (Rabinow 1985, Muller 2004), trugen diese Versuche zur Entwicklung von partizipativen und kollaborativen Forschungsmodellen bei (Boser 2007). Bei solchen Ansätzen teilen die Forschenden die Fragen mit den Teilnehmenden, indem sie ihnen regelmässig Berichte zur Verfügung stellen und gemeinsam die Ergebnisse diskutieren. Dabei bleibt den Forschenden die Freiheit der Analyse und Interpretation (zu den Prozessen der Rückführung der Ergebnisse siehe insbesondere Olivier de Sardan 2014, Ossipow 2014). Dieser von Anthropolog·innen entwickelte politische und relationale ethische Ansatz hat dazu geführt, dass die Frage nach informierter Einwilligung in einen breiteren Forschungskontext gestellt wurde. Dies wurde damit begründet, das Anthropolog·innen befürchten, dass das reflexive und politische Bewusstsein verringert werden könnte, wenn ethische Fragen ausschliesslich auf das Verfahren informierter Einwilligung reduziert werden. Die Gefahr liegt darin, dass ethische Fragen zu einem simplen Verwaltungsverfahren verkommen und dadurch inhaltsleer werden. Denn solche Verfahren würden in erster Linie dazu dienen, den Institutionen und Forschenden Rechtsschutz zu bieten, ohne die Komplexität der vielfältigen ethischen Aspekte zu berücksichtigen, mit denen Anthropolog·innen bei der Durchführung von Feldforschungen konfrontiert sind. Wie von Lederman (2006b) betont, sind diese Themen dadurch gekennzeichnet, dass eine Vielzahl von Interessengruppen mit unterschiedlichen Verständnissen von «gut » und «fair» aufeinandertreffen. Raymond Massé gibt einen hilfreichen Überblick über die anthropologische Konzeption des Verhältnisses von Macht und Ethik:
Der Bereich der Ethik beschäftigt sich mit individuellen und kollektiven Mechanismen zur Aushandlung und Lösung von moralischen Konflikten. Diese Aushandlungsprozesse spiegeln die in jeder Gesellschaft bestehenden Machtverhältnisse wider, die zwischen den verschiedenen Interessengruppen existieren, die an der Diskussion teilnehmen. Die Ethik ist daher ein Raum für die vergleichende Analyse von Modellen zur Lösung moralischer Konflikte und wirtschaftlicher, politischer und religiöser Machtverhältnisse, die die Reproduktion (oder Marginalisierung) bestimmter moralischer Werte beeinflussen. Sie erkennt an, dass Zustimmung und moralischer Konsens oft erzwungen werden und dass diese auf gesellschaftspolitische Verwendungen von moralischen Normen zurückzuführen sind. (Massé 2016, Übers.)
Im Gegensatz zur Verfahrensethik hält die von Anthropolog·innen geförderte Prozessethik daher an der Vorstellung fest, dass weder ethische Protokolle noch deontologische Prinzipien Regeln für die ethischen und moralischen Fragen enthalten, die sich im Laufe der Forschung ergeben, einschliesslich der Feldforschung, Datenanalyse sowie dem Verfassen und Verbreiten von Ergebnissen. Im Einklang mit dem induktiven und prozessualen Charakter des Forschungsansatzes liegt es in der Verantwortung der Forschenden, forschungsethische Fragen im Verlauf der Forschung zu berücksichtigen und zu lösen, und zwar im Dialog mit den jeweiligen Teilnehmenden und Kolleg·innen (Berthod et al. 2010). Der Wille zur Unterstützung der Prozessethik spiegelt sich in den nicht-restriktiven ethischen Prinzipien wider, die von anthropologischen Vereinigungen wie der American Anthropological Association (1971, siehe Fassin 2008) und der SEG gefördert werden. Diese Prinzipien gründen in erster Linie auf der Achtung der Personen, welche die Studiensubjekte sind, insbesondere in Bezug auf Anonymität und Vertraulichkeit. Anstatt die Verfahrensethik zu fördern oder sich auf die Bewertung durch die IRBs zu verlassen, stützen sich diese Prinzipien eher auf die «Reputation» der an der Forschung beteiligten Institutionen, wie Universitäten und Förderstellen, sowie auf die Zustimmung von Kolleg·innen und Forschungsteilnehmenden.
Ethische Wissenschaft, gute Wissenschaft?
Welche Auswirkungen haben die epistemologischen, methodologischen und politischen Spannungen zwischen Verfahrensund Prozessethik auf die Identität der Disziplin und die Forschungspraxis? In den letzten Jahren ist das Interesse an Ethik und Moral in der Anthropologie wieder gewachsen, so dass einige Autor·innen auch von einem «ethical turn» sprechen (Caplan 2003, Fassin 2014, Throop 2016).15 Obwohl Machtverhältnisse die Grundlage für die kritische Analyse in der Anthropologie bilden, haben sie auch gewisse Erklärungsgrenzen erreicht, die teilweise zu dieser ethischen Wende führten (Keane 2016). Die grundlegenden Fragen nach dem Ort von Ethik und Moral in der Anthropologie sowie der Haltung der Forschenden bei der Untersuchung von ethischen und moralischen Themen sind jedoch sehr weit entfernt von den praktischen Fragen und administrativen Handlungen, mit denen Anthropolog·innen konfrontiert sind, wenn ihre Forschungsanträge einer Ethikkommission zur Beurteilung vorgelegt werden.
Im Gegensatz zur Entwicklung der Prozessethik, die die Anthropologie charakterisiert, setzt die Regulierung der Forschungsethik auf eine von den biomedizinischen Wissenschaften inspirierte Verfahrensethik. In der biomedizinischen Welt hat sich die Forschungsethik seit den 1990er-Jahren, vor allem aufgrund der Bedeutung der ethischen und sozialen Fragen, die die Forschung am menschlichen Genom aufwirft, institutionalisiert. Da der Ausgangspunkt die Vision einer «guten», uneigennützigen und objektiven Wissenschaft ist, die sich abgrenzen lässt von den Missbräuchen im Zusammenhang mit möglichen sozialen Nutzungen (Kerr et al. 1997), ist die Integration ethischer Belange in die Forschungsaktivitäten zu einem zentralen Thema geworden. Die Ethik trägt damit dazu bei, Unterscheidungen zwischen «guter» und «schlechter» Wissenschaft zu treffen, die sich auf die in der Praxis angewandten höheren oder niedrigeren ethischen Standards beziehen (Wainwright et al. 2006). Als Folge verinnerlichen Forschende gleichzeitig ethische Bedenken und delegieren sie an die Regulierungsbehörden, was bedeutet, dass das Gewicht der ethischen Verantwortung auf externe Stellen gelegt wird und von den Forschenden selbst ausgeklammert werden kann.
In diesem kontex, wo die Einhaltung der verfahrencethik zur von «guter» und unethischer Forschungspraxis dient, befinden sich Anthropolog·innen in einer unbequemen Situation. Die von der AED während der SEG-Jahreskonferenz 2016 organisierte Diskussionsrunde liefert ein anschauliches Beispiel dafür. Nach der Kritik am Formalismus, der die Institutionalisierung der Forschungsethik bestimmt, traten zwei kritische Fragen auf. Die erste betrifft die Wahrnehmung der Disziplin von Nicht-Anthropolog·innen, die der Ansicht sein könnten, dass der von Anthropolog·innen verteidigte «methodische Exzeptionalismus» dazu tendiert, die Risiken, die für Forschungsteilnehmende entstehen können, zu leugnen.
Die zweite Frage betrifft die Behinderungen für den interdisziplinären Dialog. Anthropolog·innen neigen dazu, eine defensive Haltung einzunehmen und aufzuzeigen, dass die von ihnen befürwortete Prozessethik höhere ethische Standards beinhaltet als die Verfahrensethik der Ethikkommissionen. Anstatt ein tieferes Verständnis der beiden Formen der Ethik zu fördern, tendiert diese Haltung eher dazu, den Dogmatismus der Positionen auf beiden Seiten zu verstärken, indem die Forschungspraktiken der Anthropolog·innen so dargestellt werden, als ob sie auf jegliche Form von externer Regulierung verzichten könnten.
Eine der aktuellen Herausforderungen für Anthropolog·innen besteht daher darin, die Kritik an der Verfahrensethik und den daraus resultierenden Widerstand gegen die Bewertung durch Dritte zu legitimieren und gleichzeitig den ethischen Charakter ihrer Forschungspraxis zu bekräftigen. Obwohl der Fokus auf Massnahmen der formalen Einwilligung der kantonalen Ethikkommissionen mit Blick auf das biomedizinische Modell als problematisch erachtet wird, teilen Anthropolog·innen das Anliegen, die Forschungsteilnehmenden zu schützen. Die Frage ist nun, wie man eine einheitliche Ethik entwickeln kann, in der der individuelle Schutz zentral ist, aber gleichzeitig anerkannt wird, dass die Mittel zur Erreichung dieses Ziels voneinander abweichen können. Das Konzept des Schutzes entspringt eigentlich einer Forschungsvision, in der die Teilnehmenden zustimmen, im Namen des wissenschaftlichen Fortschritts Risiken einzugehen und im Gegenzug von Dritten – nämlich den ethischen Regulierungsbehörden – geschützt werden sollten, durch die Überprüfung der Einhaltung ethischer Grundsätze und durch Abwägung des Forschungsnutzen und der Forschungsrisiken für die Teilnehmenden. Diese Vision betrachtet die Forschungsteilnehmenden als gefährdete Menschen, deren Interessen vor der Euphorie der Forschenden geschützt werden müssen, und definiert folglich die Forschungstätigkeit als a priori gefährlich (Felices-Luna 2016).
Es kommt jedoch vor, dass Anthropolog·innen Gruppen von Menschen untersuchen, die mehr Prestige und Macht haben als die Forschenden selbst. Wenn nach dieser Logik auch solche Menschen geschützt werden müssen, besteht die Gefahr, dass die Forschungsergebnisse diktiert werden und somit der kritische Wert des anthropologischen Ansatzes untergraben wird. Die Ziele dieses Ansatzes liegen jedoch in der Hinterfragung dessen, was als gesunder Menschenverstand verstanden wird, sowie in der Entwicklung eines neuen Blicks auf alte Themen, der es vermag unerwartete Zusammenhänge zwischen Daten herzustellen, die eher zur Reflexion anregen, anstatt Fragen zu beantworten (Boden et al. 2009). Darüber hinaus ist es unmöglich, im Voraus zu wissen, inwieweit Forschungsergebnisse bestimmten Interessengruppen Schaden zufügen könnten, da die Nutzung der Forschung manchmal überraschende Formen annimmt (Hoeyer et al. 2005, Bamu et al. 2016).
Das Problem an dieser Stelle liegt letztendlich in der Anerkennung der Legitimität des ethnographischen Ansatzes, nachdem dessen Besonderheiten erklärt wurden. Welcher Handlungsspielraum steht Forscher·innen und Vertreter·innen der Anthropologie zur Verfügung angesichts der Institutionalisierung und Bürokratisierung der Forschungsethik? Welche Positionierungsund Handlungsoptionen gibt es im Zuge dieser Entwicklungen in den Prozessen der Legitimation und Kontrolle der Forschung? Um diese Fragen zu erörtern, werden wir drei mögliche Haltungen vorstellen und diskutieren, die Anthropolog·innen einnehmen können. Dabei werden wir auch die Risiken und Probleme, die mit den jeweiligen Haltungen verknüpft sind, skizzieren.
Moralismus, Pragmatismus und Dialog: Haltungen und Alternativen
Die erste Haltung, die wir als moralisch bezeichnen, ist die radikalste. Sie besteht darin, die Autorität der Ethikkommissionen in Frage zu stellen, insofern, dass die von ihnen angewandten Kriterien für die ethnographische Forschung als nicht geeignet beurteilt werden und ihre tatsächliche Wirksamkeit zum Schutz der Forschungsteilnehmenden in Zweifel gezogen wird. Diese Haltung gründet in der Weigerung, an etwas teilzunehmen, das als unerwünschte Auswirkungen auf die Forschung selbst angesehen wird. Insbesondere geht es hierbei um die Kritik an einer Kontraktualisierung von Forschungsbeziehungen, die ursprünglich auf der Grundlage des ethnographischen Unterfangens konzipiert wurden. Das konkrete Ziel dieser Haltung ist es, möglichst viele Menschen von der Besonderheit und Verschiedenartigkeit ethnographischer Ansätze zu überzeugen und letztlich einen differenzierten Umgang in Bezug auf die Ethik zu erwirken. Das Hauptrisiko einer solchen Positionierung besteht jedoch darin, dass sie die wissenschaftliche Legitimität der Forschungspraktiken untergraben könnte, weil sie den Eindruck erweckt, dass die Disziplin die Gültigkeit ethischer Fragen selbst ablehnt. Oder, weniger radikal, dass sie es ablehnt, die Validierung der Forschungsethik an eine externe Stelle zu delegieren. Das Problem hierbei ist, dass das Konzept des anthropologischen Vorhabens zwar für Anthropolog·innen und ihre engsten Kolleg·innen von Bedeutung ist, es aber unklar bleibt, inwiefern es eine breitere Öffentlichkeit überzeugt, zumal diese Haltung impliziert, dass die Anthropologin die einzige Person ist, die die Ethik ihres eigenen Engagements beurteilen kann.
Eine zweite Haltung würde darin bestehen, innerhalb des Systems zu arbeiten, ohne sich mehr als erforderlich mit ihm zu befassen. Sie ist inspiriert vom ethnographischen Pragmatismus, der seit langem die begrenzten Möglichkeiten von Institutionen und Regeln zur Einschränkung individueller Praktiken aufzeigt, indem er darauf hinweist, dass Forschende Handlungsspielräume schaffen und Strategien zur Vermeidung von Hindernissen entwickeln. Das Konzept der unerwünschten Auswirkungen der institutionellen Forderungen ist in dieser Haltung zwar vorhanden, aber die Reaktion darauf ist anders. Zwischen Herausforderung und pragmatischer Akzeptanz liegend, bedeutet dies, sich den neuen Verfahren zu unterwerfen und das institutionelle Spiel mitzuspielen, ohne sich notwendigerweise den ihnen zugrundeliegenden Prinzipien anzuschliessen. Hier besteht die Herausforderung darin, die spezifischen Merkmale und Freiheiten der Anthropologie zu erhalten und sich gleichzeitig an die neuen Rahmenbedingungen der Verfahrensethik anzupassen. Wir sehen zwei Risiken in einer solchen Haltung. Das erste wäre eine implizite Reduzierung der Frage der Ethik auf eine Form des «Verfahrensumwegs». Besteht hier nicht die Gefahr, dass Anthropolog·innen akzeptieren, dass die Frage der Ethik zu einer oberflächlichen Beteiligung und Behandlung verkommt? Zweitens hat jeder administrative und sprachliche Rahmen eine performative Dimension. Die Hinwendung zu ethischen Standards, die für andere methodologische und epistemologische Ansätze entwickelt wurden, birgt das Risiko, dass sich die ethnographische Forschung sowohl in ihren Zielen als auch in ihren Methoden radikal verändert, wie etwa durch die Vermeidung sensibler Themen und durch die Förderung formaler Interviews anstelle von teilnehmender Beobachtung. Obwohl diese Haltung inzwischen als Reaktion auf die zunehmenden formalen ethischen Anforderungen weit verbreitet ist, halten wir die damit verbundenen Risiken für problematisch.
In der dritten und letzten Haltung, die wir hier darlegen wollen, geht es um die Teilnahme am Dialog rund um Forschungsethik und das Engagement für deren Institutionalisierung. Sie gründet auf der Hoffnung, dass Ethikkommissionen offener für die Prozessethikwerden und die Handhabung ethischer Fragen im spezifischen Fall der ethnographischen Forschung verbessert wird. Eine solche Haltung wird von einer Reihe von Forschenden vorangetrieben (siehez. B. Lederman 2006c). Es geht um die Akzeptanz der Idee, dass bei der Regulierung und Steuerung der Forschungsethik Handlungsbedarf besteht, sei es aus gesellschaftlichen oder aus grundlegenderen ethischen Gründen. Diese Position bringt eine kritische, aber offene Haltung gegenüber der derzeitigen Arbeitsweise der für Forschungsethik zuständigen Institutionen mit sich und zielt darauf ab, sich an der Debatte zu beteiligen, um die institutionelle Herangehensweise an die Forschungsethik zu verbessern. Das Hauptrisiko der Beteiligung liegt in der Gefahr straffere Positionen zu schaffen sowie in der potentiellen Zuspitzung von gegenseitigen Missverständnissen. Das Risiko eines gescheiterten Engagements bestünde darin, die Chance auf institutionelle Verbesserung zu verlieren, während es gleichzeitig dazu beiträgt, die Grundlage für einen umfassenderen Widerstand gegen den Prozess der Bürokratisierung der Ethik zu untergraben.
Die möglichen Wege einer solchen Beteiligung müssen noch näher diskutiert werden. Wir sehen hier zwei Hauptalternativen. Es wäre möglich, die Einbeziehung von Anthropolog·innen und anderen Sozialwissenschaftler·innen, die qualitativen Forschungsmethoden anwenden, in bestehenden Ethikkommissionen zu fördern. Dafür müssen ihrer Arbeitsmethoden akzeptiert und ein Dialog zwischen Vertreter·innen der Verfahrensund Prozessethik eingeleitet werden. Diese Alternative würde darauf abzielen, die Institutionen von innen heraus zu reformieren, indem deren Kenntnisse und Fähigkeiten in Bezug auf qualitative Sozialwissenschaften gestärkt würden. Diese könnten bei Bedarf mobilisiert werden, während gleichzeitig der bereichsübergreifende und generalistische Charakter der Ausschüsse erhalten bliebe.
Die zweite Alternative wäre die Einrichtung von fachspezifischen Ausschüssen, wie beispielsweise einer Ethikkommission für die Sozialwissenschaften. Das würde voraussetzen, einen «Ausschuss» als geeignetes Instrument für die Bedürfnisse der Forschenden in Bezug auf die Forschungsethik und den damit verbundenen Formalitäten anzusehen, auch wenn es möglich wäre, seine Ziele und Aufgaben so zu erweitern, dass er stärker auf die Bedürfnisse der Forschenden eingehen würde. Ein Argument für die Bildung von fachspezifischen Ausschüssen ist die Kompetenz der Expert·innen, Forschungsanträge hinsichtlich ihrer methodologischen, epistemologischen und ethischen Besonderheiten zu beurteilen. Anstatt Projekte zur Förderung der Prozessethik im Lichte verfahrensethischer Kriterien zu bewerten, würde dies bedeuten, Formen der Evaluierung zu entwickeln, die an die spezifischen Merkmale unserer Disziplin angepasst wären. Es könnte auch sein, dass eine Kommission, die sich aus Expert·innen der Disziplin zusammensetzt, besser in der Lage wäre, Versuche zu erkennen, sich innerhalb eines Projekts ethischen Kriterien zu entziehen oder diese zu umgehen.
Eine der grundlegenden Fragen, die sich bei der Einsetzung eines fachspezifischen Ausschusses stellen würden, ist die nach dem übergreifenden Inhalt von ethischen Kriterien. Dennoch hätte die Bildung von Ausschüssen für die qualitativen Sozialwissenschaften den Vorteil, neue formale Ansätze zu entwickeln, Bewertungskriterien anzupassen und eine größere Komplexität einzubeziehen. Mit anderen Worten, es würde die Artikulation und Integration von Verfahrensund Prozessethik fördern. Solche Ausschüsse könnten innerhalb der Universitäten oder auf der Ebene von Berufsverbänden wie der SEG organisiert werden. Um die Vermehrung isolierter Initiativen zu vermeiden, erscheint es wichtig, die daraus resultierenden Kommunikationsund Koordinationsbedürfnisse nicht aus den Augen zu verlieren. Es wäre unerlässlich, eine Diskussion über die Einrichtung solcher Ausschüsse und ihrer Arbeitsweise einzuleiten, nicht nur innerhalb der anthropologischen Gemeinschaft, sondern auch im weiteren Feld der qualitativen Sozialwissenschaften.
Angesichts der Bedeutung der ethischen Fragen, mit denen Studierende und Forschende bei der Durchführung ihrer Feldforschungen konfrontiert sind, halten wir es schliesslich für zentral, den Dialog über Forschungsethik zu fördern. Dies kann umgesetzt werden, indem einerseits Räume für den Dialog geschaffen werden und andererseits die interdisziplinäre Ausbildung in Forschungsethik gefördert wird, die an den Universitäten nach wie vor unterrepräsentiert ist.
Schlussfolgerung
Als Hintergrund für die Debatte über die Regulierung und Kontrolle der Forschungsethik ist es sinnvoll, in Erinnerung zu rufen, dass es einen grundlegenden Unterschied zwischen zwei Ansätzen zur Frage der Ethik gibt. Der erste konzentriert sich auf die Forschungsteilnehmenden und ihren Schutz. Er bildet die Grundlage für die Entwicklung von Ethikkommissionen und dem Prinzip der informierten Einwilligung. Wie wir gesehen haben, liegt sein Ursprung in den grossen Skandalen, die die Geschichte der medizinischen Forschung im 20. Jahrhundert getrübt haben. Der zweite Ansatz hingegen lenkt die Aufmerksamkeit auf die sozialen und politischen Implikationen der Forschungsaktivitäten in einem weiteren Sinne. Als Reaktion auf Skandale im Zusammenhang mit der Nutzung der Sozialwissenschaften in (post)kolonialen und hegemonialen Staatsprojekten, erkennen die Anthropologie und andere qualitative Sozialwissenschaften die politische und situierte Dimension wissenschaftlicher Erkenntnisse an und favorisieren daher den zweiten Ansatz. Diese beiden ethischen Ansätze spiegeln sich in zwei verschiedenen Definitionen der Probleme wider, die sich aus der Beteiligung (oder Nichtbeteiligung) an der Forschung ergeben können. Vereinfacht ausgedrückt, formuliert der erste Ansatz die Frage hinsichtlich der Individuen und der direkten Auswirkungen, insbesondere in Bezug auf die physische oder psychische Sicherheit des Einzelnen. Der zweite Ansatz hingegen integriert die Phänomene der kollektiven Vorherrschaft und der Sozialkritik und stellt sich Fragen nach dem Verhältnis von Forschungspraktiken und sozialer (Re)Produktion.
Diese beiden ethischen Ansätze können sich gegenseitig ergänzen. Dennoch führt die Betonung des einen oder des anderen zu einer völlig anderen ethischen Positionierung. Wenn dieser Unterschied zwischen den Repräsentationssystemen der Ethik nicht definiert ist, wird die Diskussion untergraben was zu gegenseitigem Missverständnis führt. Der grundlegende Punkt ist daher, dass formale Verfahren zur Regulierung der Forschungsethik tendenziell keinen Raum für ethische Ansätze der Sozialkritik zulassen. Unter Bezugnahme auf die kritische und reflektierende Dimension der Ethik sehen wir eine entscheidende Rolle für die Sozialwissenschaften bei der Regulierung der Forschungsethik. Anstatt sich darauf zu konzentrieren, ob Instrumente wie Ethikkommissionen oder Einwilligungserklärungen für ethnographische Methoden geeignet sind oder nicht, müssen wir über neue und ergänzende Instrumente nachdenken, die nach den gesellschaftlichen Folgen der Forschung fragen.
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Fußnote
Información adicional
Groupe de réflexion éthique et déontologique (GRED): Le Groupe de réflexion éthique et déontologique (GRED) de la Société suisse d’ethnologie (SSE) a été créé en 2008 en réponse aux débats entourant un nouvel article de la Constitution fédérale suisse visant à clarifier le cadre juridique de « la recherche sur l’être humain». Le GRED examine les effets possibles du cadre juridique nouvellement créésur les pratiques de recherche anthropologiques. Le groupe a édité et publié plusieurs Discussions de cas éthiques dans la recherche ethnologique, quianalysent et commenten les expériences concrètes de chercheur·euse·s, et sont disponible sous format électronique sur la page web de la SSE16.
Arbeitsgruppe Ethik und Deontologie (AED): Die Arbeitsgruppe Ethik und Deontologie (AED) der Schweizerischen Ethnologischen Gesellschaft (SEG) wurde 2008 gegründet als Reaktion auf die Debatten um einen neuen Artikel der Schweizerischen Bundesverfassung, der den Rechtsrahmen für die «Forschung am Menschen» klären soll. Die Gruppe hat mehrere Ethische Diskussionen in ethnologischer Forschung veröffentlicht, welche die sozialanthropologischer Forschungspraxis analysieren und kommentieren . Die Fallstudien sind auf der Website der SEG pbliziert.17