Resümee:
The article considers contrastive linguistics as a discipline that interacts closely with its intralinguistic and applied neighbouring disciplines. Within this framework, the online ontology IMAGACT presents an instrument that allows to contrast how languages lexicalize concrete actions (movements, modification of objects, setting relations among objects, etc.) in their verbs. German and Italian, the language pair considered here, differ typologically in their lexicalization strategies, which leads to difficulties in L2 acquisition, translation and lexicography. The article shows how the corpus-based IMAGACT database, which presents a set of 1010 actions in short films and links them to the appropriate verbs in 15 languages, provides help in these fields, and how it can at the same time empirically support contrastive-typological findings.
Artikel/Articles
Der Ausdruck von Aktionen im Deutschen und Italienischen Recherchen zur Lexikalisierungsstrategie mit IMAGACT
Die Kontrastive Linguistik lässt sich definieren als „Unterdisziplin der Sprachwissenschaft […], die anhand unterschiedlicher vergleichender Methoden interlinguale Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten und Unterschiede aufzudecken versucht“ (Tekin 2012: 100). Sie steht dabei in enger Wechselwirkung mit der allgemeinen Sprachwissenschaft, der Sprachtypologie und der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft als unmittelbar angrenzende und teils überlappende innerlinguistische Disziplinen einerseits, und mit den stärker angewandten und von Tekin außerlinguistisch genannten Disziplinen des Fremdsprachenunterrichts, des Übersetzens und Dolmetschens sowie der Lexikographie andererseits (ibd.: 83–99).
Mit König (2012: 36f.) lässt sich ergänzen, dass die Kontrastive Linguistik überwiegend synchron orientiert und auf den bilateralen Sprachvergleich fokussiert ist, dass sie Erkenntnisse über eine Sprache aus der Sicht einer anderen erbringen sollte, und dass ihre Arbeiten zu einem anwendbaren Ergebnis – eben im Bereich des L2-Unterrichts, der Übersetzung etc. – führen sollten.
Der Beitrag stellt in diesem bewusst weit gesteckten Rahmen ein Instrument vor, das es erlaubt, Sprachen bezüglich darauf zu kontrastieren, wie sie – mithilfe von Verben – auf konkrete, beobachtbare Aktionen referieren. Dieses Instrument ist ein mehrsprachiges Onlinewörterbuch der Aktionsverben mit dem Titel IMAGACT, das unter der Leitung von Massimo Moneglia an den Universitäten Florenz und Siena sowie dem CNR Pisa entwickelt wurde und frei im Internet zugänglich ist. Das Besondere dabei ist, dass nicht mit Definitionen oder Übersetzungsäquivalenten im herkömmlichen Sinne gearbeitet wird, sondern dass jeder Aktionstyp durch ein kurzes Video repräsentiert ist, zu dem sich der Nutzer1 die entsprechenden Verben in verschiedenen Sprachen anzeigen lassen kann. Für den Vergleich zweier Sprachen kann dieses feste Set von prototypischen Szenen als Tertium Comparationis dienen. IMAGACT ist korpusbasiert ausgehend vom Englischen und Italienischen erstellt und inzwischen um die Sprachen Arabisch, Chinesisch, Dänisch, Französisch, Deutsch, Griechisch, Hindi, Japanisch, Polnisch, Portugiesisch, Serbisch, Spanisch und Urdu ausgebaut worden. Der deutsche Teil wurde von der Autorin bearbeitet, und die Sprachen, die im Folgenden kontrastiert werden, sollen das Deutsche und das Italienische sein.
Aktionsverben – hierzu werden im folgenden Ansatz u. a. die semantische Klasse der Bewegungsverben, Verben des Positionierens, der Modifikation und Zerstörung von Objekten, Handlungsverben wie schreiben, aber auch Zustandsverben wie schlafen und Vorgangsverben wie einschlafen gezählt – stellen für das Paar der romanischen Sprache Italienisch und der germanischen, typologisch teils erheblich abweichenden Sprache Deutsch einen besonders interessanten Gegenstand des Vergleichs dar. Im L2-Erwerb sowie in der Übersetzung kommt es häufig zu Schwierigkeiten und Divergenzphänomenen seitens italienischer Lerner, die damit zusammenhängen, dass das Italienische bevorzugt sogenannte „verbi generali“ (Moneglia/Panunzi 2010) verwendet, die in ihrer eigentlichen Bedeutung auf mehrere, teils voneinander sehr unterschiedliche Aktionen referieren können, während das Deutsche spezifische, konkrete Verben mit entsprechend hohen Selektionsrestriktionen präferiert, die oft nur eine oder wenige Aktionen bezeichnen (siehe z. B. für die Zerstörung eines Objekts das generische italienische rompere, für das im Deutschen, je nach Material des Objekts und Art der Zerstörung, unterschiedliche Verben wie zerreißen, zerschlagen, kaputt machen etc. gewählt werden müssen).
Der Beitrag geht zunächst in kontrastiv-typologischer Perspektive auf den Hintergrund dieser Unterschiede ein, wobei er sich auf die Ansätze der Kopenhagener TYPOlex-Gruppe sowie den theoretischen Rahmen von IMAGACT stützt, und erläutert die Konsequenzen der Unterschiede für den L2-Erwerb, die Übersetzung sowie die Lexikographie. Im Anschluss werden die Erstellung sowie die Nutzeroberfläche der IMAGACT-Ontologie erläutert, die sowohl dem Endanwender, also dem Lerner und Übersetzer, Hilfestellung bieten als auch als Datenquelle für linguistische Forschungen dienen kann. Das vierte Kapitel stellt exemplarisch einige konkrete Einsatzmöglichkeiten von IMAGACT für die Kontrastive Linguistik in ihren verschiedenen, sowohl innerlinguistischen als auch anwendungsbezogene Lesarten vor.
Wie die Korpusuntersuchungen von Moneglia/Panunzi (cf. 2010: 40f.) für das Italienische gezeigt haben, treten Aktionsverben in der gesprochenen Sprache besonders häufig auf. Sie erscheinen dort gegenüber allen anderen Verbklassen in einem 1:1-Verhältnis bezüglich der tokens und sogar in einem Verhältnis von 5:3 bezüglich der types. Diese Verben, mit denen man auf die Frage eines Kindes antworten kann, das eine Person sieht und die Eltern fragt: Was macht der Mann bzw. die Frau da?, scheinen also eine besondere Relevanz in der menschlichen Kommunikation zu haben.
Dabei werden sie in den verschiedenen Sprachen auf teils sehr unterschiedliche Weise versprachlicht. Die am häufigsten verwendeten Aktionsverben im Italienischen sind verbi generali, die in ihrer eigentlichen Bedeutung auf eine Vielzahl von Aktionen referieren können, die sich erheblich voneinander unterscheiden können und in einer kognitiven Kategorisierung unterschiedlichen Klassen zugeordnet würden, wie z. B. rompere un bastone vs. rompere una corda. Sie sind also semantisch vage und weisen oft einen hohen Grad an Polysemie auf.
Um die gleichen Aktionen auszudrücken, präferiert das Deutsche dagegen präzise Verben, die genau das bezeichnen, was man beobachten kann, und die oft nur auf eine einzige Aktion referieren können. Für obige Beispiele zu rompere würden etwa einen Stock zerbrechen, aber ein Seil zerreißen verwendet. Zwischen dem Italienischen und dem Deutschen besteht somit eine deutliche kontrastive Polysemie (Nied Curcio 2002), die bei der Übersetzung ins Deutsche zu Divergenzen führt.
Um die typologischen Unterschiede zwischen den beiden Sprachen besser zu verdeutlichen, erweisen sich der Ansatz und die Terminologie der Kopenhagener TYPOlex-Gruppe um Michael Herslund und Iørn Korzen als sehr hilfreich (cf. z. B. die Sammelbände von Korzen/D’Achille 2005; Cresti/Korzen 2010; Korzen/Ferrari/De Cesare 2014 sowie Herslund 2007; Korzen 2016 und 2018). Ihr Ausgangspunkt sind die grundlegenden Studien von Talmy (1985 und 2000) zu Bewegungsverben, die dieser als Beispiel für Lexikalisierung im Sinne der Bildung von Lexemen durch semantische Komponenten vornimmt. Für den Ausdruck einer Bewegung in einem Verb sind dabei fünf Komponenten relevant:
die Bewegung als solche, die Talmy MOVEMENT nennt;
die Richtung der Bewegung (PATH), also z. B. eine Bewegung nach oben, nach unten, von einem Punkt A zu einem Punkt B, durch einen Raum hindurch etc.;
die Art der Bewegung (MANNER), die ausdrückt, wie eine Einheit sich bewegt, ob sie also
z. B. springt, rennt, schleicht etc.;
die Eigenschaften der Einheit, die sich bewegt (FIGURE), die berücksichtigt, ob es sich um einen Mensch oder ein Tier handelt, ob sie Beine, Flügel oder Flossen hat etc.;
der Untergrund oder die Umgebung, auf bzw. in dem die Bewegung stattfindet (GROUND), also z. B. auf der Erde, auf einer Straße, in der Luft, im Wasser.
Die Sprachen unterscheiden sich darin, welche der Komponenten sie bevorzugt ausdrücken bzw. darin, welche Komponente sie nicht unterdrücken können: „Languages differ essentially in what they must convey and not in what they may convey“ (Jakobson 1959: 236). Die romanischen Sprachen wie das Italienische neigen dazu, in ihren Bewerbungsverben die Komponente PATH zu kodieren, während die Art der Bewegung im Verb nicht unbedingt erscheint, wie etwa im Verb salire, das eine Bewegung nach oben bezeichnet. Natürlich könnte auch die Art der Bewegung spezifiziert werden und zwar außerhalb des Verbs, z. B. durch ein Gerundium oder eine PP (salire correndo, salire di corsa).2 Die germanischen Sprachen enthalten in ihren Verben dagegen nahezu obligatorisch die Komponente MANNER und verwenden häufig ein externes Element, z. B. ein Adverb wie hinauf als Partikel, um die Richtung einer Bewegung auszudrücken (hinaufgehen, hinaufrennen etc.).
Das Modell von Talmy ist stark rezipiert und von mehreren Autoren und Forschungsgruppen adaptiert und erweitert worden (cf. insbesondere die Arbeiten von Slobin, z. B. 2004, und auch den Sammelband von Goschler/Stefanowitsch 2013). Die Adaption des Modells durch die TYPOlex-Gruppe besteht in seiner Ausweitung auf andere semantische Verbklassen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass die MANNER-Komponente in den germanischen Sprachen auch in anderen Klassen schwer zu unterdrücken scheint, wie untenstehende Tabelle zeigt. Während das Deutsche auch für Verben, die z. B. die Positionierung, die Position, die Modifikation und die Zerstörung von Gegenständen sowie die Nahrungszubereitung ausdrücken, diese Komponente beinhalten, also expliziert, wie die jeweilige Veränderung zustande kommt, verwendet das Italienische die erwähnten generischen Verben, die gerade durch das Fehlen der MANNERKomponente charakterisiert sind (cf. Korzen 2018: 20, mit Referenz auf eine mündliche Information durch Alessandro Panunzi). Die Wahl des Verbs im Deutschen hängt von mehreren Faktoren ab, die auch die Qualität seiner Argumente betreffen – das Positionierungsverb stehenz. B. setzt als Subjekt eine Person, ein Tier mit Beinen oder einen Gegenstand aus hartem Material voraus –, und umgekehrt enthält das Verb stärkere Restriktionen für seine Argumente als ein generisches Verb.
Natürlich ist auch eine romanische Sprache wie das Italienische in der Lage, mit Präzision auszudrücken, wie eine Aktion abläuft, also die MANNER-Komponente hinzuzufügen. Aber sie muss dies nicht nahezu obligatorisch tun wie das Deutsche, das etwa zum Ausdruck der Positionierung eines Objekts nicht umherkommt, die Ausrichtung mit anzugeben, und neigt dazu, sie zu unterdrücken, wenn der Kontext es nicht ausdrücklich anders verlangt. Herslund fasst das Ergebnis dieser Präferenzen für das Sprachenpaar Dänisch–Französisch wie folgt zusammen, und Gleiches gilt auch für Deutsch und Italienisch:
In den Verben kodiert das Dänische [wie das Deutsche] die Art und Weise, das heißt das Aussehen, den sichtbaren Aspekt der Verbalsituation, während das Französische [wie das Italienische] etwas Abstrakteres, nicht unmittelbar Sichtbares wie die Richtung oder das Ziel einer Bewegung kodiert.
(Herslund 2007: 10)
Daraus folgt, dass die romanischen Sprachen wie das Italienische tendenziell eine beschränkte Zahl an wenig spezifischen, semantisch leichten Verben verwenden, um auf verschiedene Aktionen zu referieren, während die germanischen Sprachen wie das Deutsche auf eine höhere Zahl an spezifischen Verben zurückgreifen, um die gleiche Zahl an Aktionen zu bezeichnen.3 Darauf deuten auch kontrastive Korpusstudien durch Mitglieder von TYPOlex im Rahmen des Projekts Sugartexts hin (cf. Smith 2009; Korzen 2009; Ettin 2007).
In Anlehnung an Tesnière (1959) betrachtet die Forschungsgruppe das Verb als Zentrum des Satzes. Sprachen wie die germanischen, die ein hohes semantisches Gewicht im Verb konzentrieren, werden in ihrer Terminologie daher als endozentrischbezeichnet, während Sprachen wie die romanischen, deren Verben semantisch leichter sind, exozentrisch genannt werden.
Die unterschiedliche typologische Zugehörigkeit hat Konsequenzen für die Übersetzung und für den L2-Erwerb. Ein Deutschlerner mit der L1 Italienisch sieht sich, ebenso wie ein Übersetzer aus dem Italienischen ins Deutsche, kontinuierlich mit dem Phänomen der Divergenz konfrontiert und braucht einen präzisen Kontext, der MANNER, FIGURE etc. klar erkennen lässt, um ein passendes Verb in der Zielsprache zu wählen (siehe obiges Bsp. zu rompere). Wenn Lernende hierfür nicht sensibilisiert werden, die verschiedenen Äquivalente zu generischen italienischen Verben nicht kennen oder nicht wissen, dass es bei diesen besonders oft zu Divergenzen kommen kann und daher nicht in einem Wörterbuch nachschlagen, passieren häufig Fehler, wie folgende Beispiele aus einer empirischen Studie von Gärtig-Bressan (2019b: 136) zeigen:
dt. *Der Koch verrührt die Nudeln in den Topf.
dt. *Die Jugendlichen fassen den Hund, der wegläuft.
Zusätzliche Schwierigkeiten bereiten den Lernern ungewohnte Wortbildungsmechanismen: Viele der Aktionsverben sind Präfixverben (bemalen, zertrampeln) oder Partikelverben (cf. Fleischer/Barz 2012: 91–92; 396–441) mit Präpositionen (abbiegen, annähen), Adverbien (herausnehmen, zusammenklappen) oder Adjektiven (platt drücken, festkleben). Letztere, also Bildungen mit resultativem Adjektiv, sind im Italienischen nicht bekannt und werden auch im fortgeschrittenen Deutschunterricht oft nicht thematisiert.
Die typologischen Unterschiede zwischen den Sprachen führen auch für die automatische Übersetzung und die Lexikographie zu Herausforderungen. Tools wie Google Übersetzer oder DeepL sind vor Fehlern wie den oben zitierten (noch) nicht gefeit. Sie bieten für die italienischen Beispielsätze in (1) und (2) ähnliche Übersetzungen wie die der Lerner an, wobei neben der Wahl eines akzeptablen Verbs auch der Kasusfehler „in den Topf“ zu beachten ist:
dt. *Der Koch dreht die Spaghetti im Topf./Der Koch wendet die Spaghetti in den Topf.
dt. *Die Jungs nehmen den laufenden Hund mit./Die Jungs nehmen den Hund, der wegläuft.
Ein zur Übersetzung eingegebener einfacher Satz bietet zu wenig Kontext, um zu einer korrekten Lösung zu führen. Bessere Hilfe können zweisprachige Qualitätswörterbücher leisten, die die unterschiedlichen Lesarten des italienischen Verbs mithilfe von Synonymen, Kollokatoren, Beispielen und den anderen Möglichkeiten, die die traditionelle Lexikogrpahie bietet, disambiguieren. Dennoch erfassen viele Wörterbücher, insbesondere, wenn sie nicht korpusbasiert und in kontrastiver Perspektive ausgerichtet sind, nicht alle Lesarten eines Verbs, die in der Zielsprache ein eigenes Äquivalent verlangen. Zudem erfolgt die Disambiguierung in extrem kondensierter Form oder durch Erklärungen, die für den Anfänger oft noch schwierig zu verstehen sind.
Um einerseits dem Lerner und Übersetzer eine Hilfe zu bieten, und andererseits für die linguistische Forschung erstmals systematisch zu erfassen, welche Aktionen besonders häufig versprachlicht und dabei ggf. von den einzelnen Sprachen unterschieden werden, wurde das Projekt IMAGACT ins Leben gerufen. Es ist an den Universitäten Florenz und Siena sowie dem CNR Pisa angesiedelt, wurde von der Region Toskana finanziert und von Massimo Moneglia geleitet. Im Zentrum steht eine frei zugängliche Onlineanwendung, in der 1010 konkrete Aktionen in kurzen Filmen oder 3D-Animationen dargestellt werden und mit den Verben in derzeit 15 typologisch und genealogisch unterschiedlichen Sprachen verbunden sind.4
Die IMAGACT-Ontologie wurde, ausgehend vom Italienischen und Englischen, korpusbasiert erstellt. Dazu wurden aus dem gesprochensprachlichen Teil des British National Corpus (BNC) sowie aus den italienischen Korpora zum spontanen gesprochenen Italienischen C-ORALROM, LABLITA (cfr. Cresti 2000), LIP und CLIPS die häufigsten 500 Aktionsverben extrahiert, um daraus 1010 Aktionstypen abzuleiten, auf die in der gesprochenen Sprache besonders häufig referiert wird. Diese wurden durch kurze Filme oder Animationen dargestellt, die das Herzstück der Datenbank bilden, und wiederum mit den entsprechenden Verben verbunden wurden. Mit den Filmszenen verfügt IMAGACT über ein weitgehend sprachunabhängiges Tertium Comparationis und bedient sich zugleich einer Universalsprache, die für seine Nutzer, auch wenn ihr Sprachniveau in der L2 noch gering ist, leicht verständlich ist. Die Idee dahinter ist an Wittgenstein orientiert (cfr. Moneglia et al., 2012a: 408), der schreibt: „Wie würden wir denn jemandem erklären, was ein Spiel ist? Ich glaube, wir werden ihm Spiele beschreiben, und wir könnten der Beschreibung hinzufügen: ‚das, und Ähnliches, nennt man Spiele‘“ (Wittgenstein 1953/1977: 59, Hervorhebung im Original). Ebenso kann der L2-Lerner die Szenen in IMAGACT lesen. Möchte er z. B. wissen, was das dt. zerreißen bedeutet und wie es sich von ähnlichen Verben im Deutschen oder seinem italienischen Äquivalent rompere unterscheidet, kann er die entsprechende Filmszene betrachten und daraus schließen: „Diese und ähnliche Aktionen sind zerreißen“.
Aufgrund seiner sprachunabhängigen, auf den Szenen beruhenden Anlage konnte und kann IMAGACT um weitere Sprachen erweitert werden.
Die Erweiterung erfolgt kompetenzbasiert durch muttersprachliche Informanten der zu ergänzenden Sprache. Diese sehen die einzelnen Szenen an, gehen also von der prototypischen Aktion aus und tragen in eine Eingabemaske ein, welche Verben ihrer Sprache auf diese Aktion referieren können (siehe Abbildung 1). Wichtig ist, dass es sich dabei nicht um einen Übersetzungsprozess aus den bereits in IMAGACT vorhandenen Sprachen handelt.
Anzugeben sind für jede Aktion das passende Verb bzw. die passenden Verben in der Nennform sowie ein caption genannter Beispielsatz in der 3. Pers. Sg., in dem alle thematischen Rollen besetzt sind. Für Sprachen, die nicht das lateinische Alphabet verwenden, ist außerdem eine Transliteration einzutragen.5
Auf die Schwierigkeiten, die sich aus dieser Art der Datenerweiterung sowie aus der Grundstruktur der Datenbank ergeben, soll hier nicht weiter eingegangen werden. Sie finden sich in Gärtig-Bressan (2019a) ausführlicher besprochen und betreffen u. a. die Kulturgebundenheit einiger Szenen – ist es tatsächlich möglich, für eine Vielzahl von Sprachen wie die in IMAGACT verfügbaren von einheitlichen prototypischen Szenen auszugehen ? –, das Problem, dass diasystematische Variation nicht berücksichtigt werden kann und vor allem die stark reduzierte Mikrostruktur, die keine Angaben zu Valenz, Konstruktion und Konjugation der einzelnen Verben erlaubt. Hierzu ist zu bedenken, dass eine Datenbankstruktur, die die Erfassung der entsprechenden Angaben für z. T. völlig unterschiedliche Sprachen erfordert, extrem schwer zu realisieren ist und dass das Fehlen der Angaben, wie in 4.3 ausgeführt werden wird, durch die Ergänzung von IMAGACT um andere Onlineressourcen z. T. ausgeglichen werden kann.
Das Teilprojekt zur Erweiterung der Datenbank heißt IMAGACT4ALL. Die hieraus entstandene erweiterte Version von IMAGACT ist frei im Internet zugänglich (siehe Abbildung 2). Zugleich stehen die eingefügten Daten im Hintergrund auf Anfrage für linguistische Analysen bereit.
Dem Nutzer von IMAGACT bieten sich drei Möglichkeiten der Suchanfrage. Er kann die Ontologie nutzen
als zweisprachiges Wörterbuch über die Funktion Dictionary;
zum direkten Vergleich der Referenz von zwei Verben (vermeintlichen Äquivalenten oder auch vermeintlichen Synonymen innerhalb einer Sprache) über die Funktion Compare;
als onomasiologisches Wörterbuch zur Suche ausgehend von den Szenen über die Funktion Gallery.
Soll IMAGACT als zweisprachiges Wörterbuch verwendet werden, wählt der Nutzer in der oben abgebildeten Oberfläche die Ausgangssprache aus und gibt ein Verb ein, z. B. das italienische appendere, auf das er bei der Übersetzung des Satzes La ragazza appende la sciarpa all’attaccapanni gestoßen ist. Als erstes Suchergebnis erhält er die in Abbildung 3 dargestellte Seite, wo er die Zielsprache wählen kann und wo die verschiedenen Lesarten des Verbs, dargestellt durch prototypische Szenen der Verbalhandlung, visualisiert sind.
Hier kann er die Lesart identifizieren, die derjenigen des Verbs im Ausgangstext entspricht, und sich die passenden Verben in der Zielsprache Deutsch anzeigen lassen. Die Diskrimination der Lesart über die Filme bietet gerade für den Anfänger, für den alternative lexikographische Darstellungen wie etwa die Arbeit mit Synonymen, Definitionen oder Kollokatoren noch schwierig sein können, einen erheblichen Vorteil. Durch die korpusbasierte Erstellung der Ontologie werden zudem weitaus mehr Lesarten erfasst als in einem traditionellen Wörterbuch. Das Ergebnis der Recherche ist die im Folgenden dargestellte Seite mit der Filmszene im Zentrum, den möglichen Verben der Ausgangssprache auf der linken und denen der Zielsprache auf der rechten Seite. Die weiteren lexikographischen Informationen sind, wie in 3.2 bereits angesprochen, reduziert. Neben der Möglichkeit, die Aussprache anzuhören, enthalten sie lediglich die caption zum gesuchten Verb der Ausgangssprache als implizite Information, was natürlich gerade für die Hinübersetzung problematisch ist. Im dargestellten Beispiel fehlt dem Nutzer etwa die Information, dass sowohl hängen als auch aufhängen regelmäßige Verben sind und dass hängen obligatorisch mit der direktionalen Ergänzung an + Akk verwendet wird, während die Direktiv-Angabe an + Dat bei aufhängen fakultativ ist.
Die Funktion Compare erlaubt es, zu vergleichen, wo sich die Referenz von zwei Verben überschneidet und wo hingegen ein Verb gegenüber dem anderen eine geringere Extension hat. In die Suchmaske können entweder zwei Verben einer Sprache zum innerlingualen Vergleich oder zwei Verben, bei denen eine Äquivalenzrelation vermutet wird, aus zwei Sprachen eingegeben werden. In der Mitte sieht man die Szenen, auf die beide Verben referieren können, links und rechts diejenigen, auf die jeweils nur eines der Verben referiert. So kann der Nutzer im unten dargestellten Beispiel erfahren, dass die Referenz des italienischen mettere sehr viel weiter ist als die des deutschen setzen. Gerade dem Anfänger kann die direkte Gegenüberstellung helfen, die Regeln für den Gebrauch der deutschen Positionierungsverben zu erwerben.
Schließlich bietet sich dem Nutzer noch die Möglichkeit, zunächst sprachunabhängig nach prototypischen Aktionen zu suchen. Dazu steht die Funktion Gallery zur Verfügung, in der einzelne Aktionstypen in neun Klassen organisert sind, die eine hohe Relevanz in der menschlichen Kategorisierung von Aktionen haben (siehe Abbidlungen 6 und 7). Die erste Zeile enthält Aktionen mit Perspektivierung auf das Agens, die zweite mit Perspektivierung auf die Relation Agens-Thema und die dritte mit Perspektivierung auf die Relation Thema-Ziel. Hier kann der Nutzer suchen, welche Art von Aktionen ihn interesssiert, innerhalb der einzelnen Aktionsklassen erneut eine Auswahl treffen und sich die sprachliche Repräsentation in der gewählten Zielsprache anzeigen lassen. Damit wird die Zugriffsrichtung des Wörterbuchs hin zu einer onomasiologischen umgekehrt, was etwa in einem Printwörterbuch für Verben zuvor schwer möglich war.
Wie lässt sich IMAGACT nun für die Kontrastive Linguistik einsetzen? Hier ist erneut zwischen den eingangs zitierten Lesarten der Kontrastiven Linguistik bzw. ihren eng angrenzenden Nachbardisziplinen zu unterscheiden. Für die angewandten Teilbereiche und speziell die L2-(hier: DaF-)Didaktik, die Übersetzungswissenschaft und die Lexikographie stellt die eben vorgestellte Nutzeroberfläche ein unmittelbar anwendbares Instrument für den „Endverbraucher“, also den Lerner und Übersetzer (ggf. auch den Lexikographen) dar.
Für die innerlinguistischen Teilbereiche sind überdies die im Hintergrund vorhandenen Daten eine reiche Quelle, denn hier liegen, für ein fest abgegrenztes Set von Aktionstypen und semantischen Subklassen als ein (weitgehend) sprachunabhängiges Tertium Comparationis, die entsprechenden Verben in typologisch und genealogisch verschiedenen Sprachen vor und können qualitativ und quantitativ verglichen werden.
Sowohl für die innerals auch für die extralinguistisch orientierte Perspektive stellen die folgenden Teilkapitel exemplarische Ansätze vor, die zeigen, wie sich die Datenbank gewinnbringend anwenden lässt.
Die zitierten typologischen und korpusbasierten Studien der TYPOlex-Gruppe und anderer Autoren deuten darauf hin, dass exozentrische Sprachen wie das romanische Italienisch konkrete Aktionen bevorzugt durch wenige generische Verben ausdrücken, die auf eine Vielzahl von teils sehr unterschiedlichen Aktionen referieren können, während endozentrische Sprachen, zu denen das gemanische Deutsch gehört, spezielle Verben zur intensiven Referenz auf je nur eine oder wenige Aktionen präferieren. Die Daten aus IMAGACT können dies quantitativ belegen. Wie folgende Tabelle zeigt, sind für das fest definierte Set von 1010 Aktionen für das Deutsche 987 Verben eingegeben worden, während es für das Italienische lediglich 522 sind. Zum Vergleich enthält die Tabelle auch Daten für das Spanische, das Englische und das Dänische (Daten nach Alessandro Panunzi, cf. auch Korzen 2018: 20; Gärtig-Bressan 2019a: 35–36; Moneglia/Panunzi/Gregori 2018: 25).
Tabelle 3 zeigt darüber hinaus, dass es im Italienischen einige Verben gibt, die auf mehr als 30 Aktionen referieren können. Solche Verben kennt das Deutsche nicht, und auch der Anteil von Verben, die 11–30 Szenen bezeichnen, sind im Vergleich zum Italienischen äußerst selten. Umgekehrt referieren 61,9% der deutschen Verben in der Datenbank auf lediglich eine Aktion. Eine solch enge Referenz haben im Italienischen lediglich 37,9% der Verben.
Zwei weitere Studien zum Sprachenpaar Italienisch–Deutsch befinden sich derzeit in der Anfangsphase: In der ersten wird detaillierter der Frage nachgegangen, wie sich der Wortschatz der Aktionsverben, so wie er in der Datenbank vorliegt, in den beiden Sprachen bezüglich der Wortbildung, der bevorzugten Konstruktionen sowie der semantischen Merkmale (in einer erweiterten Klassifikation nach Talmy) für die einzelnen semantischen Subklassen (Bewegung im Raum, Modifikation von Objekten, …) zusammensetzt. Erste Ergebnisse, die noch zu validieren und für das Italienische nachzutragen sind, zeigen etwa für die Klasse der Verben zum Ausdruk der Modifikation von Objekten und für den Parameter Wortbildung im Deutschen, dass hier, neben rund 35% einfachen Verben, besonders häufig Partikelverben mit Präposition als Erstglied (26%, z. B. einwickeln) verwendet werden, daneben solche mit Adverb (18%, z. B. wegreiben) und mit Adjektiv (6%, z. B. trockenreiben), außerdem Präfixverben (13%, z. B. zerstampfen). Bei den einfachen Verben sind neben solchen, bei denen das Verb die Basis darstellt, mit 16% denominale Bildungen zu finden, die sich vom Instrument der Modifikation (12%, z. B. räuchern) oder ihrem Resultat (4%, z. B. lochen) ableiten, außerdem deadjektivische (11%, z. B. glätten), die das Resultat der Modifikatin beinhalten.
Die zweite Studie ist empirisch-quantitativ angelegt und befasst sich mit der Frage, ob Muttersprachler, die eine der Szenen aus der Datenbank als Input erhalten, tatsächlich mehrheitlich zur Versprachlichung des Gesehenen auf die Lexikalisierungsstrategie zurückgreifen, die für ihre Sprache in der Literatur als typisch beschrieben ist, ob also z. B. für die Klasse der Modifikation von Objekten deutsche Muttersprachler wirklich bevorzugt ein Verb bzw. eine Konstruktion verwenden, die die MANNER-Komponente enthält und etwa die in Abbildung 8 dargestellt Szene eher durch trockenreibenoder wischen wiedergeben, während italienische Muttersprachler auf das Resultat fokussieren und z. B. asciugare präferieren.
Dazu wurde eine Onlineerhebung erstellt, in der 20 Szenen der Klassen Modification of the object und Setting relation among objects aus IMAGACT als Stimuli dienten und die Teilnehmer gebeten wurden, auf die Frage „Was tut die Person im Video?“ mit einem kurzen Satz zu antworten. 105 deutschund italienischsprachige Personen haben an der Erhebung teilgenommen und die ersten Auswertungen scheinen die Hypothese zu bestätigen.
Für den Einsatz von IMAGACT in den angewandten Nachbardisziplinen seien zunächst zwei Beispiele für die DaFund die Übersetzerausbildung skizziert. Der L2-Unterricht kann, gerade im Anfängerbereich, die Visualisierungen der Datenbank nutzen und zwar sowohl für Erklärungen durch den Lehrer als auch für selbstentdeckendes Lernen (zu Grammatikanimationen in kognitionswissenschaftlicher Perspektive cf. Roche/Suñer Muñoz 2014).
Auf A-Niveau werden typischerweise die Positionierungsverben (meist in Kombination mit den Wechselpräpositionen) eingeführt: Wo das Italienische das generische mettere verwendet, muss im Deutschen, je nach Ausrichtung und Material des platzierten Gegenstands (für eine vollständige Liste der Faktoren cf. Kopecka/Narasimhan 2012: 5f.), differenziert werden in setzen, stellen, legen und hängen. Über die Erklärungen des Lehrers, für den Anfänger vielleicht noch schwer zu verstehen, und über die beschränkten Möglichkeiten spontaner pantomimischer Darstellungen hinaus, kann die bewegte Visualisierung hier sehr hilfreich sein. Dazu kann die Compare-Funktion genutzt werden, um den unterschiedlichen Referenzbereich zweier deutscher Positionsverben oder von mettere und z. B. setzen anzuzeigen (siehe Abbildung 5). Die Animationen und Szenen aus IMAGACT können über Creative-Commons-Lizenzen (CC BY-ND) aber auch kostenfrei verlinkt und so in eigene didaktische Anwendungen eingebunden werden.
Neben der Vermittlung von grammatischem Basiswissen kann IMAGACT auch einen Beitrag zur Sensibilisierung von fortgeschrittenen Lernern und angehenden Übersetzern des Sprachenpaars Italienisch–Deutsch leisten. Dass die Übersetzung italienischer verbi generali wie prendere, aprire oder rompere mit ihren zahlreichen Lesarten ins Deutsche oft ein spezifischeres Verb als nehmen, öffnen oder zerschlagen.kaputtmachen erfordert, und dass es umgekehrt je nach Kontext legitim (wenn nicht obligatorisch) sein kann, ein semantisch dichtes deutsches Verb wie trockenreiben, in dem sowohl Resultat als auch Modus der Handlung lexikalisiert sind, mit asciugare statt mit asciugare strofinando oder strofinare a fine di asciugare zu übersetzen, ist bisweilen auch dieser Zielgruppe nicht bewusst. So wird von italienischen DaF-Lernern etwa rompere im Kontext häufig falsch übersetzt (z. B. *ein altes Handtuch zerbrechen, nicht publizierter Lerner-Beleg aus der Studie von Gärtig-Bressan 2019b), weil keine Divergenz vermutet wird. Hier kann im Unterricht mit der CompareFunktion in IMAGACT veranschaulicht werden, dass zwischen rompere und zerbrechen nur für vier Aktionstypen eine Äquivalenzrelation besteht, um dann in einem weiteren Schritt zu vertiefen, welches die übrigen deutschen Traduzenten sind und zu erarbeiten, von welchen Faktoren die Wahl abhängt (siehe Abbildung 9).
Lerner, die für derartige sprachliche Unterschiede sensibilisiert wurden, wissen, wo mögliche Fehlerquellen liegen. Sie haben beim späteren Produktionsoder Übersetzungsprozess nicht nur einen breiteren Wortschatz zur Verfügung, sondern können auch besser einschätzen, wann der Griff zu einem Wörterbuch notwendig sein könnte: „If we want learners to use dictionaries well, it is important to begin by helping them become aware of language problems that they are not used to confronting“ (Frankenberg-Garcia 2011: 121).
Darüber hinaus ist eine weitere, von den Autoren intendierte Anwendungsmöglichkeit von IMAGACT aus den engen Nachbardisziplinen der Kontrastiven Linguistik der Einsatz der Datenbank selbst als zweisprachiges Wörterbuch. Um die Effizienz der Ontologie auf diesem Feld zu testen und mit der anderer Instrumente zu vergleichen, wurden bereits einige Studien realisiert (für das Sprachenpaar Italienisch–Chinesisch cf. Pan 2016, für Italienisch–Arabisch Mutlak 2018). Für die Gebrauchsrichtung Italienisch–Deutsch durch italienische DaF-Lerner wurde von der Autorin ein Übersetzungsexperiment mit 22 BA-Studierenden der SSLMIT Triest (Deutschniveau B1-C1) durchgeführt (cf. Gärtig-Bressan 2019b). Hierbei bekamen die Teilnehmer 16 einfache italienische Sätze mit einem generischen Aktionsverb zum Übersetzen ins Deutsche vorgelegt, z. B.
3) Il bagnino apre gli ombrelloni.
4) Ricetta per una torta: apri due uova e […].
5) Il pirata ha trovata una mappa del tesoro. È piegata ben bene. Pieno di curiosità, il pirata la apre.
Bei der Übersetzung war mit Divergenzen und der Wahl spezieller Verben im Deutschen zu rechnen. So wäre etwa als Äquivalent zu aprire aus den zitierten Beispielen einmal aufspannen (3), einmal aufschlagen (4) und einmal auseinanderfalten (5) die zu präferierende Lösung.
Die Teilnehmer wurden in zwei Gruppen geteilt, von denen eine das task mit IMAGACT, die andere mit einem traditionellen zweisprachigen Wörterbuch lösen konnte.6 Die Ergebnisse belegen, dass die IMAGACT-Gruppe für 90,9% der Sätze ein akzeptables Verb in der Zielsprache Deutsch wählte (z. B. öffnen oder aufmachen für aprire in Satz 3), während dies in der Wörterbuch-Gruppe nur in 70,1% der Fälle gelang. Ein treffendes, spezielles deutsches Verb, also etwa aufspannenfür Beispiel (3), wurde von den Teilnehmern der IMAGACTGruppe in 72,2% der Fälle gewählt, von den Teilnehmern der Wörterbuch-Gruppe lediglich in 41,7%. Anders als vermutet führten die fehlenden expliziten Grammatikangaben in IMAGACT kaum zu mehr Fehlern in diesem Bereich: Während entsprechende Fehlgriffe in der Wörterbuch-Gruppe in 7,5% der Fälle passierten, erfolgen sie in der Gruppe IMAGACT nur wenig häufiger (8,6%).
Die Teilnehmer der IMAGACT-Gruppe evaluierten ihre Arbeit mit der Ressource als vorteilhaft aufgrund ihres intuitiven Gebrauchs, der genauen Unterscheidung der einzelnen Lesarten eines Verbs und ihrer Darstellung durch die Videos. Kritisiert wurden die fehlenden Grammatikangaben. Durch den kombinierten Gebrauch mit anderen Online-Ressourcen (andere Wörterbücher, Konjugationstabellen etc.), wie er bei jungen Benutzern in einer natürlichen Konsultationssituation die Regel ist (cf. die Beobachtungsstudie von Müller-Spitzer et al. 2019 und Anmerkungen der Teilnehmer selbst), dürfte diese Schwäche allerdings leicht ausgeglichen werden und sich die Datenbank für den Bereich der konkreten Verben durch ihre korpusbasierte Anlage und die Universalsprache der Videos als besonders geeignetes lexikographisches Instrument erweisen.
Der Beitrag hat gezeigt, dass Aktionsverben für das Sprachenpaar Italienisch.Deutsch eine Herausforderung im L2-Erwerb, in der Übersetzung und für die Lexikographie darstellen. Dies liegt v. a. daran, dass die Sprachen in der Lexikalisierung von Aktionen typologisch erheblich differieren: Als exozentrische Sprache versprachlicht das Italienische Bewegungsereignisse, aber auch andere Aktionen wie die Modifikation von Objekten etc. bevorzugt ohne die MANNER-Komponente zu berücksichtigen in verbi generali, wohingegen das Deutsche als endozentrische Sprache die MANNER-Komponente nicht nur in Bewegungsverben, sondern auch anderen Aktionsverben nahezu obligatorisch mitgibt.
Mit der IMAGACT-Ontologie steht ein Instrument zur Verfügung, das die am häufigsten versprachlichten Aktionstypen ermittelt, kategorisiert und in kurzen Filmen und Animationen repräsentiert zusammengestellt hat. Somit ist es möglich, Sprachen über diese Szenen als Tertium Comparationis zu kontrastieren, was zunächst zur innerlinguistischen Forschung eingesetzt werden kann, um Aussagen der Sprachtypologie, der einzelsprachlichen sowie der allgemeinen Linguistik quantitativ und qualitativ zu überprüfen und zu stützen. So konnte etwa belegt werden, dass das Italienische zur Referenz auf das feste Set von 1010 Aktionen mit 522 Verben auskommt, wohingegen für das Deutsche für die gleiche Anzahl von Szenen 987, entsprechend spezifischere Verben in der Datenbank verzeichnet sind.
Andererseits kann IMAGACT als Instrument auch direkt in den anwendungsbezogenen Nachbardisziplinen der Kontrastiven Linguistik zum Einsatz kommen. Der Artikel hat illustriert, wie die online frei zugängliche Ontologie zur Erklärung und Sensibilisierung im DaFund Übersetzungsunterricht verwendet werden, und wie sie als Wörterbuch herangezogen werden kann, das sich gegenüber einem traditionellen zweisprachigen Wörterbuch aufgrund der umfassenden Berücksichtigung und der klaren Abgrenzung der verschiedenen Lesarten der einzelnen Verben durch die Filmszenen und durch seinen intuitiven Gebrauch als hilfreicher in der Hinübersetzung erweist.
Umgekehrt sollte am Beispiel des Einsatzes von IMAGACT klar geworden sein, welches Potential die Kontrastive Linguistik bietet, wenn sie umfassend in ihren Nachbardisziplinen verankert ist, mit diesen überlappt und innerund extralinguistische Anwendungen Hand in Hand gehen.